Entscheidungsstichwort (Thema)
Einholung eines Sachverständigengutachtens zum gesundheitlichen Zustand einer Person im selbständigen Beweisverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Im selbständigen Beweisverfahren kann die Einholung eines Gutachtens zum Gesundheitszustand eines älteren Menschen in Betracht kommen, wenn zwischen zwei Geschwistern Streit über die Wirksamkeit von Rechtsgeschäften der Mutter besteht, mit möglichen Auswirkungen auf Ansprüche unter den Geschwistern nach dem Tod der Mutter.
2. Der Umstand, dass die Mutter noch lebt, steht der Einholung eines Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren zu den Voraussetzungen ihrer Geschäftsfähigkeit nicht entgegen, wenn das Gutachten der Vermeidung eines späteren Rechtsstreits unter den Töchtern dienen kann.
3. Ein rechtliches Interesse im Sinne von § 485 Abs. 2 ZPO kommt allerdings nicht in Betracht, wenn die Mutter nicht bereit ist, an einer medizinischen Untersuchung mitzuwirken, und wenn außerdem keine erheblichen anderen Anknüpfungstatsachen für das Gutachten eines Sachverständigen ersichtlich sind.
Normenkette
ZPO § 485 Abs. 1-2
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 6 OH 2/21) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 11.3.2021 - 6 OH 2 / 21 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20.000,- EURO festgesetzt.
4. Der Streitwert für das Verfahren vor dem Landgericht wird - in Abänderung der Festsetzung durch das Landgericht - auf 20.000,- EURO festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien sind Geschwister. Die Antragstellerin hat im Verfahren vor dem Landgericht im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, durch welches geklärt werden solle, ob die Mutter der Parteien zu bestimmten Zeiten in der Vergangenheit noch geschäftsfähig war. Die Antragstellerin wendet sich mit der sofortigen Beschwerde gegen die Zurückweisung ihres Antrags durch das Landgericht.
Die Mutter der Parteien, G. F., ist am 22.05.1937 geboren. Sie lebt in einem Pflegeheim in F.. Das Amtsgericht S. hat mit Beschluss vom 18.12.2019 für die Mutter eine Betreuerin bestellt, insbesondere für den Aufgabenkreis der Vermögenssorge und für den Bereich der Gesundheitsfürsorge. Zur Begründung hat das Amtsgericht S. darauf hingewiesen, die Mutter leide an einer psychischen Erkrankung (Demenz vom Alzheimer-Typ), so dass sie nicht mehr in der Lage sei, ihre Angelegenheiten ausreichend zu besorgen. Eine am 04.09.2019 von der Mutter für ihren Lebensgefährten erteilte Generalvollmacht stehe der Betreuung nicht entgegen; denn die Wirksamkeit dieser Vollmacht sei fraglich. Da die Mutter schon seit einiger Zeit erkrankt sei, werde die Betreuerin die von der Mutter vor dem 18.12.2019 getroffenen Vermögensverfügungen auf deren Wirksamkeit zu prüfen haben.
Mit einem notariellen Vertrag vom 19.02.2019 hatte die Mutter ein mit einem Ferienhaus bebautes Grundstück in Italien zum Preis von 60.000,- EURO an die Antragsgegnerin veräußert. Der Kaufpreis ist bisher nicht bezahlt. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, die Immobilie sei erheblich mehr wert gewesen als 60.000,- EURO. Mit notariellem Vertrag vom 01.03.2019 hatte die Mutter ein Reihenhausgrundstück in Deutschland an die Antragsgegnerin geschenkt. Mit der Schenkung wurde ein lebenslänglicher Nießbrauch zu Gunsten der Mutter verbunden.
Die Antragstellerin hat die Auffassung vertreten, die Mutter der Parteien sei bereits bei den Geschäften im Februar und März 2019 aufgrund der Alzheimer-Erkrankung geschäftsunfähig gewesen. Die Verträge seien mithin unwirksam mit der Konsequenz, dass Rückforderungsansprüche gegen die Antragsgegnerin bestünden. Dies müsse beim Tod der Mutter Auswirkungen auf Ansprüche der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin haben. Denn die Mutter habe die Antragsgegnerin bereits im Jahr 2013 zur Alleinerbin eingesetzt. Die zu erwartenden Pflichtteilsansprüche der Antragstellerin gegen die Antragsgegnerin nach dem Tod der Mutter müssten sich um die entsprechenden Anteile der Rückforderungsansprüche der Mutter wegen der Geschäfte im Februar und März 2019 erhöhen. Um Auseinandersetzungen über die Frage der Geschäftsfähigkeit der Mutter in der Zukunft zu vermeiden, sei es bereits jetzt sinnvoll und geboten, die Geschäftsfähigkeit der Mutter für die maßgeblichen Zeitpunkte durch ein Sachverständigengutachten klären zu lassen. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag auf Einholung eines Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren mit verschiedenen Einwendungen entgegengetreten.
Mit Beschluss vom 11.03.2021 hat das Landgericht den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen. Ein rechtliches Interesse für die Einholung eines Sachverständigengutachtens im selbständigen Beweisverfahren sei zu verneinen. Denn die ärztliche Untersuchung einer dritten Person greife ganz erheblich in das grundrechtlich geschützt...