Leitsatz (amtlich)

Ist eine Geschwindigkeitsmessanlage eine eigenständige, der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dienende Anlage im Sinne des § 316 b Abs. 1 Nr. 3 StGB? (Vorlage an den Bundesgerichtshofgemäß 121 Abs. 2 GVG).

 

Tenor

Die Sache wird dem Bundesgerichtshof nach § 121 Abs. 2 GVG zur Entscheidung vorgelegt.

 

Gründe

I.

Der Angeklagte wurde vom Amtsgericht B. mit Urteil vom 30.11.2011 wegen Nötigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je € 15,00 verurteilt. Gegen das Urteil vom 30.11.2011 legte der Verteidiger zunächst am 07.12.2011 "Rechtsmittel" ein, das er innerhalb der Revisionsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 30.01.2012, eingegangen beim Amtsgericht B. per Telefax am selben Tag, als Sprungrevision bezeichnete und mit der allgemeinen Sachrüge begründete.

Dem Urteil liegen folgende Feststellungen zugrunde:

Der Angeklagte hatte am XXXX. 2011 gegen 10.30 Uhr in B. auf der C-Straße aus Verärgerung darüber, dass er unmittelbar zuvor mit überhöhter Geschwindigkeit von einem Geschwindigkeitsmessgerät geblitzt wurde, sein Kastenwagen direkt vor den Sensor der dort mobil aufgestellten Geschwindigkeitsmessanlage abgestellt, um weitere Messungen zu verhindern. Nachdem der Messbeamte den Angeklagten, der weggegangen war, mehrfach telefonisch erfolglos aufgefordert hatte, den Kastenwagen zu entfernen, rief der Messbeamte ein Abschleppunternehmen. Inzwischen fuhr der Angeklagte, dem das Abschleppen angedroht worden war, den Kastenwagen weg und stellte an derselben Stelle einen Traktor mit Anhänger ab und ließ den Frontlader herunter, so dass er nicht abgeschleppt werden konnte. Erst nach Eintreffen der Polizei entfernte der Angeklagte den Traktor. Aufgrund des Verhaltens des Angeklagten konnte - wie von ihm beabsichtigt - die Messstelle ca. eine Stunde von dem Messbeamten nicht betrieben werden.

II.

Der Senat beabsichtigt, in entsprechender Anwendung des § 354 StPO den Schuldspruch dahingehend zu ändern, dass der Angeklagte der Störung öffentlicher Betriebe gemäß § 316 b Abs. 1 Nr. 3 StGB schuldig ist, und im Übrigen die Revision des Angeklagten als offensichtlich unbegründet gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen.

Hieran sieht er sich jedoch durch den entgegenstehenden Beschluss des OLG Stuttgart vom 03.03.1997, NStZ 1997, 342f., gehindert und legt das Verfahren daher zur Entscheidung der zugrundeliegenden Rechtsfrage dem Bundesgerichtshof vor.

Im Einzelnen:

1. Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch wegen Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB nicht, weil sie nicht ergeben, dass gegen den Messbeamten Gewalt im Sinne einer körperlichen Zwangswirkung ausgeübt wurde. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NStZ 1995, 541 - sog. Zweite-Reihe-Rechtsprechung), die vom Bundesverfassungsgericht (NJW 2011, 3020) gebilligt wurde, kann eine strafbare Nötigung durch Gewalt dann vorliegen, wenn der Einfluss auf die Opfer bei nur geringem körperlichen Aufwand dergestalt physischer Art ist, dass die beabsichtigte Handlung durch tatsächlich nicht überwindbare Hindernisse unterbunden wird. Maßgebend ist, dass die Gewaltanwendung ursächlich zu dem vom Täter angestrebten Verhalten des Opfers führt. Dabei genügt allerdings nicht jede Verknüpfung zwischen Tathandlung und Nötigungserfolg. Der für eine Nötigung mit Gewalt erforderliche spezifische Zusammenhang zwischen Nötigungshandlung und dem Nötigungserfolg muss gewahrt sein (BGH a. a. O.). Zu beachten ist aber, dass dieser Rechtsprechung ein mehrseitiges Personenverhältnis (Demonstranten - Insassen des ersten Kraftfahrzeugs - Insassen der nachfolgenden Kraftfahrzeuge) zugrunde lag und eben durch das erste Fahrzeug ein unüberwindbares physisches Hindernis für die nachfolgenden Pkw bereitet wurde. Bei Zweipersonenverhältnissen, in denen die Gewalt lediglich in körperlicher Anwesenheit besteht und die Zwangswirkung auf den Genötigten nur psychischer Natur ist, ist dieses Tatbestandsmerkmal weiterhin nicht erfüllt (BVerfG a. a. O.; NJW 1995, 1141). Der Gewaltbegriff enthält somit die körperliche Kraftentfaltung des Täters und die dadurch begründete körperliche Zwangswirkung auf das Opfer (vgl. auch Fischer, StGB, 59. Aufl., § 240 Rn. 19; Beck-OK-StGB/Valerius, Ed. 18, Stand: 15.03.2012, § 240 Rn. 21).

Das Abstellen des Kastenwagens und danach des Traktors vor der Messanlage stellt zwar eine körperliche Kraftentfaltung dar (OLG Karlsruhe NJW 1996, 1551). Im hier zu entscheidenden Fall bewirkte dies jedoch keine körperliche Zwangswirkung gegen den Messbeamten. Zwar teilt das Amtsgericht in den Urteilsgründen nicht den Typ des verwendeten Messgeräts mit. Aus den Urteilsgründen ergibt sich aber immerhin, dass ein aufgebautes Blitzgerät vorhanden war und das Messgerät hätte abgebaut werden können, dass also eine mobile Messanlage verwendet wurde. Offen bleibt, ob es sich bei dem Messgerät um ein vollautomatisches oder um ein bei jeder Einzelmessung von einer Person zu bedienendes Gerät handelte. Dies ist indessen gleichgültig, weil das Verhalten des Angeklagten in be...

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