Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens trotz Schiedsgutachtenabrede

 

Leitsatz (amtlich)

1. Trotz Schiedsgutachtenabrede bleibt ein selbständiges Beweisverfahren zulässig, wenn ein Rechtsschutzinteresse für die Beweiserhebung besteht.

2. Das Rechtsschutzinteresse ist zu bejahen, soweit der Schiedsgutachtenvertrag einer Verwertung der Ergebnisse aus dem selbständigen Beweisverfahren in einem späteren Hauptprozess voraussichtlich nicht entgegenstehen wird.

3. Die Schiedsgutachtenabrede steht einem selbständigen Beweisverfahren insbesondere dann nicht entgegen, wenn die vereinbarte Einholung des Schiedsgutachtens unterbleibt.

 

Normenkette

ZPO § 485 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Beschluss vom 27.02.2015; Aktenzeichen C 6 OH 27/13)

 

Tenor

1. Die Beschlüsse des LG Konstanz vom 27.2.2015; v. 22.6.2015 - jeweils im Verfahren C 6 OH 27/13 - werden aufgehoben.

2. Das LG wird angewiesen, über den Beweissicherungsantrag der Antragstellerin in den Schriftsätzen vom 30.12.2013, 19.3.2014 und 23.10.2014, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats, neu zu entscheiden.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 30.12.2013 gegen die beiden Antragsgegner die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens beantragt. Die Antragsgegnerin Ziff. 1 war im Auftrag der Antragstellerin bei einem Bauvorhaben in Ü. als Generalunternehmerin tätig. Der Antragsgegner Ziff. 2 war von der Antragstellerin mit verschiedenen Architektenleistungen beauftragt. Im Beweissicherungsverfahren sollten durch ein schriftliches Sachverständigengutachten Mängel bei Durchführung des Bauvorhabens in Ü., Ursachen der Mängel, Verantwortlichkeiten und entstehende Kosten geklärt werden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anträge der Antragstellerin im Schriftsatz vom 30.12.2013 verwiesen.

Das LG hat mit Beschluss vom 3.3.2014 die beantragte Beweiserhebung angeordnet. Gegen diese Entscheidung haben beide Antragsgegner Gegenvorstellung erhoben. Mit Beschluss vom 17.4.2014 hat das LG daraufhin den Beweisbeschluss "vorerst" aufgehoben. Über den Antrag der Antragstellerin solle später neu entschieden werden. Die beiden Antragsgegner sind mit verschiedenen Einwendungen der Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens entgegengetreten. Die Antragstellerin hat in Schriftsätzen vom 19.3.2014 und vom 23.10.2014 die Anträge auf Beweiserhebung ergänzt und abgeändert.

Mit Beschluss vom 27.2.2015 hat das LG den Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zurückgewiesen. Ein selbständiges Beweisverfahren sei nicht zulässig. Es bestehe kein Rechtschutzbedürfnis, weil die Antragstellerin mit beiden Antragsgegnern am 25.8.2011 hinsichtlich des streitigen Bauvorhabens eine Schiedsgutachtenabrede getroffen habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Antragstellerin, die an ihrem Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens festhält. Die Schiedsgutachtenabrede lasse generell das Rechtschutzbedürfnis für ein selbständiges Beweisverfahren nicht entfallen. Zudem betreffe das bereits vorliegende Schiedsgutachten vom 28.4.2012 nur solche Mängel des Bauvorhabens, die nicht Gegenstand des Antrags im selbständigen Beweisverfahren seien. Die Parteien hätten einvernehmlich von einer weiteren Durchführung der Schiedsgutachtenabrede einvernehmlich Abstand genommen, so dass es zu einem ergänzenden Schiedsgutachten wegen der zwischen den Parteien noch offenen Fragen nicht mehr kommen werde.

Das LG hat mit Beschluss vom 22.6.2015 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem OLG Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - vorgelegt. Außerdem hat das LG in dieser Entscheidung die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens der Antragstellerin auferlegt.

Die Parteien hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragsgegner treten der sofortigen Beschwerde entgegen und verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung.

II. Die zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat Erfolg. Entgegen der Auffassung des LG ist der Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens zulässig. Gemäß § 572 Abs. 3 ZPO hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, dem LG die erforderliche Entscheidung über den Antrag zu übertragen.

1. Die Voraussetzungen für eine schriftliche Begutachtung durch einen Sachverständigen gem. § 485 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Antragstellerin hat im Verfahren gegen die beiden Antragsgegner ein rechtliches Interesse daran, dass der Zustand des fraglichen Bauvorhabens in Ü., vorhandene Mängel, Ursachen und Kosten für eine Mangelbeseitigung geklärt werden. Ein rechtliches Interesse ist generell anzunehmen, wenn - wie vorliegend - das Ergebnis einer schriftlichen Begutachtung die Möglichkeit eröffnet, dass ein Streit ganz oder teilweise beigelegt wird. Ob und inwieweit sämtliche von der Antragstellerin aufgeworfenen Fragen für die Klärung von Ansprüchen relevant sind, kann dahinstehen. Es reicht aus, dass...

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