Leitsatz (amtlich)

Die Annahme, dass die - geringfügige - Überschreitung des zugelassenen Messbereichs bei Geschwindigkeitsmessungen mit PoliScan Speed einen über den allgemeinen Toleranzabzug hinausgehenden Abschlag vom gemessenen Wert rechtfertigt, liegt eher fern und bedarf jedenfalls eingehender, auf den Einzelfall bezogener Begründung.

 

Verfahrensgang

AG Emmendingen (Entscheidung vom 05.04.2017)

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Emmendingen vom 05.04.2017 mit den Feststellungen aufgehoben.
  2. Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an dieselbe Abteilung des Amtsgerichts Emmendingen zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Landratsamt Emmendingen warf dem Betroffenen mit Bußgeldbescheid vom 20.10.2016 vor, als PKW-Fahrer die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 3 1 km/h überschritten zu haben und setzte deshalb ein Bußgeld von 160 EUR und ein einmonatiges Fahrverbot fest.

Demgegenüber verurteilte das Amtsgericht Emmendingen den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil vom 05.04.2017 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 3 0 km/h zu dem Bußgeld von 160 EUR.

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Freiburg, mit der die unterbliebene Festsetzung eines Fahrverbots beanstandet wird.

II.

Die gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hat (vorläufigen) Erfolg.

Die Entscheidung ist allein deshalb auf die Sachrüge aufzuheben, weil das angefochtene Urteil entgegen §§ 46 Abs. 1 , 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 267 StPO keine für das Rechtsbeschwerdegericht beachtlichen Gründe enthält und die Voraussetzungen des § 77b OWiG für ein Absehen einer schriftlichen Begründung nicht vorlagen. Die am 09.05.2017 zu den Akten gelangten schriftlichen Urteilsgründe sind unbeachtlich, weil zu diesem Zeitpunkt eine bereits nicht mehr abänderbare Urteilsfassung ohne Gründe vorlag, nachdem das nur aus dem Tenor bestehende Protokollurteil auf Verfügung des Abteilungsrichters vom 18.04.2017 hin der Staatsanwaltschaft Freiburg am 20.04.2017 gemäß § 41 StPO zugestellt worden war (vgl. BGHSt 58, 473). Angesichts der fehlenden Gründe ist demzufolge das Rechtsbeschwerdegericht außer Stande, das angefochtene Urteil einer materiell-rechtlichen Überprüfung zu unterziehen, weshalb es der Aufhebung unterliegt (OLG Karlsruhe - Senat - NStZ-RR 2007, 212 ; Beschluss vom 04.05.2016 -2 (7) SsBs 145/16 - AK 68/16 [ebenfalls das AG Emmendingen betreffend]; OLG Hamm, Beschluss vom 20.03.2014 - III-3 RBs 16/14 - juris; OLG Bamberg, Beschluss vom 16.12.2008 - 3 Ss OWi 1060/08 - juris; Göhler, OWiG, 17. Aufl. 2017, § 77b Rn. 8).

III.

1. Die Abfassung der nachträglich ergänzten Urteilsgründe gibt trotz ihrer rechtlichen Unbeachtlichkeit Anlass darauf hinzuweisen, dass sie das Absehen von einem Fahrverbot nicht tragen könnten, weil sie in entscheidungserheblicher Weise lückenhaft sind.

Zur Begründung der festgestellten - gegenüber dem Bußgeldbescheid - niedrigeren Höhe der Geschwindigkeitsüberschreitung hat das Amtsgericht ausgeführt:

"Hinsichtlich der Höhe der vorwerfbaren Geschwindigkeitsverstoßes hat der Betroffene geltend gemacht, bei Verwendung des Geschwindigkeitsmessgerätes PoliScan Speed der Firma Vitronic könne es aufgrund des Umstandes, dass das Gerät unter Umständen auch Messpunkte außerhalb des in der Bauartzulassung definierten Messbereiches von 50 m bis 20 m vor dem Messgerät berücksichtige, zu Fehlmessungen kommen. [... Dadurch kann es] - wie dem Gericht aufgrund eines in einem anderen vergleichbaren Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens des Büros Dr. L., Freiburg, bekannt ist - zu einer Außertoleranzmessung von maximal 1 km/h gegenüber einer Messung ausschließlich innerhalb des in der Bauartzulassung vorgegebenen Bereichs von 50 m bis 20 m zum Messgerät kommen. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass PoliScan Speed eine Entfernung systembedingt ohnehin nur auf +/- 0,315 Metern genau messen kann. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei PoliScan Speed eine Messung noch dann gültig ist, wenn sich die Geschwindigkeit des Fahrzeugs innerhalb des Messbereichs um bis zu 10 km/h bzw. um bis zu 10% nach unten oder nach oben ändert. Für den Fall einer nicht konstanten Geschwindigkeit des gemessenen Fahrzeugs innerhalb des Messbereichs sind nach Ansicht des Sachverständigen Dr. L. zwei Alternativen zu unterscheiden:

- Wenn ein Fahrzeug seine Geschwindigkeit beim Durchfahren des Messbereichs von 50 m bis 20 m um bis 10 km/h bzw. um bis 10% verringert und die ersten zur Geschwindigkeitsmesswertbildung herangezogenen Entfernungsmesswerte bereits in einer größeren Entfernung als 50 m zum Messgerät ermittelt wurden, kann das Fahrzeug mit einer um bis zu 1 km/h zu hohen Geschwindigkeit gemessen werden.

- Wenn ein Fahrzeug seine Geschwindigkeit wäh...

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