Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Verfahrensaussetzung bei Parallelität

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einer Vielzahl ähnlicher Verfahren ist eine Aussetzung nach § 148 ZPO im Hinblick auf einen „Musterprozess” nicht möglich.

 

Verfahrensgang

LG Mannheim (Beschluss vom 20.08.2003; Aktenzeichen 9 O 194/03)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des LG Mannheim vom 20.8.2003 aufgehoben.

 

Gründe

Die Kläger wenden sich mit ihrem Rechtsmittel gegen die Aussetzung ihres Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung eines Parallelverfahrens. Beim LG Mannheim sind seit Mitte 2002 eine Vielzahl von Klagen gegen die Sparkasse R. eingegangen, in denen die Frage der Wirksamkeit von Darlehensverträgen im Streit steht, die ein Treuhänder als Vertreter für Erwerber von Anteilen an Immobilienfonds abgeschlossen hat. Die Klageanträge sind auf Feststellung der Unwirksamkeit der Verträge bzw. Rückzahlung geleisteter Raten gerichtet. Die einzelnen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Kammern des LG haben bereits mehrere Dutzend Fälle dieser Art entschieden, wobei – soweit ersichtlich – in allen Verfahren Berufung eingelegt wurde. Nachdem Versuche, beim LG eine „Pilotvereinbarung” zu schließen, gescheitert waren, hat der Einzelrichter mit Beschluss vom 1.7.2003 mitgeteilt, dass er im Hinblick auf die anstehenden Rechtsmittelentscheidungen und zur Vermeidung von Kosten erwäge, das vorliegende Verfahren auszusetzen. Die Beklagte und die Streithelferin sind dem nicht entgegengetreten, die Kläger haben „erhebliche Bedenken” angemeldet. Mit Beschluss vom 20.8.2003 hat das LG den vorliegenden Rechtsstreit nach § 148 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Rechtsstreits 9 O 108/03 ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Kläger, der das LG nicht abgeholfen hat.

Das nach § 252 ZPO statthafte und zulässige Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Es steht außer Frage, dass der vom LG gegangene Weg vernünftig und sinnvoll ist. Eine Aussetzung des Verfahrens würde hier überflüssige Mehrarbeit in parallel geführten Prozessen verhindern. Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte allein rechtfertigen jedoch eine Verfahrensaussetzung nicht. Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift kann, wenn die Entscheidung eines Rechtsstreits von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits ausgesetzt werden. Unabdingbare Voraussetzung für eine Aussetzung nach § 148 ZPO ist eine Abhängigkeit in dem Sinne, dass die Entscheidung in dem anderen Rechtsstreit vorgreiflich ist. Dies ist nur der Fall, wenn in dem anderen Verfahren über ein Rechtsverhältnis entschieden wird, dessen Bestehen für das auszusetzende präjudizielle Bedeutung hat (Zöller/Greger, ZPO, 24. Aufl., § 148 Rz. 5). Allein die Parallelität – und um solche handelt es sich hier – mehrerer Verfahren reicht nicht aus, um eine Aussetzung nach § 148 ZPO anzuordnen (OLG Köln v. 8.7.1999 – 15 W 49/99, OLGReport Köln 2000, 449; OLG Stuttgart v. 28.12.1998 – 20 W 19/98, OLGReport Stuttgart 1999, 134). Es ist daher nicht möglich, von mehreren Parallelprozessen einen durchzuführen und die anderen auszusetzen, so wünschenswert und ökonomisch sinnvoll dieses Vorgehen im vorliegenden Fall auch sein mag. Zu einem „Musterprozess” kann es nur mit Zustimmung der Parteien nach § 251 ZPO kommen, wie es der Senat für die Berufungsverfahren zumindest teilweise inzwischen erreicht hat. Der Umstand, dass in dem anderen Verfahren vergleichbare oder sogar identische Rechts- und Sachfragen zu entscheiden sind, ist kein Aussetzungsgrund. Deshalb kann es auch auf das vom LG als Begründung angeführte Bedürfnis einer einheitlichen Entscheidung nicht ankommen.

Daher ist die angefochtene Entscheidung aufzuheben, damit das LG das Verfahren fortsetzt. Die Parteien mögen allerdings noch einmal prüfen, ob nunmehr im Hinblick auf die Pilotvereinbarung beim OLG ein Ruhen des Verfahrens sinnvoll ist.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst; entstandene Kosten sind Teil der Prozesskosten und ggf. bei der Hauptsacheentscheidung zu berücksichtigen (Zöller/Greger, ZPO, § 252 Rz. 3).

 

Fundstellen

Haufe-Index 1130616

NJOZ 2004, 2372

OLGR-KS 2004, 254

www.judicialis.de 2004

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