Entscheidungsstichwort (Thema)
Reststrafenaussetzung. Erstverbüßer. Ausland. Freiheitsstrafe. Freiheitsstrafe im Ausland. Europäische Union. Zum Erstverbüßerprivileg des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB bei vorheriger Vollstreckung von Freiheitsstrafe im Ausland
Leitsatz (amtlich)
Das Erstverbüßerprivileg des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entfällt auch dann, wenn Freiheitsstrafe im Ausland vollstreckt wurde, die auf einem rechtsstaatlichen Verfahren beruht und die Vollstreckung mit einer solchen in Deutschland vergleichbar ist. Davon kann grundsätzlich ausgegangen werden, wenn gegen einen Verurteilten bereits eine Freiheitsstrafe in der Europäischen Union verhängt wurde und dieser sich deshalb dort nicht unerhebliche Zeit im freiheitsentziehenden Strafvollzug befand, also die Freiheitsstrafe nicht lediglich in Form freiheitsbeschränkender Maßnahmen, wie Hausarrest oder elektronische Überwachung (Fußfessel), vollstreckt wurde.
Normenkette
StGB § 57 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Entscheidung vom 02.07.2019; Aktenzeichen 20 StVK 228/19) |
Gründe
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss des Landgerichts Karlsruhe - auswärtige Vollstreckungskammer Pforzheim - vom 02. Juli 2019 (20 StVK 228/19) wird aus den im Ergebnis zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräftet werden, kostenpflichtig (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO) als unbegründet verworfen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
1. Die Kammer hat im Ergebnis zu Recht die nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB für eine Reststrafenaussetzung erforderliche positive Legalprognose verneint, da - jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt - aus den von der Kammer dargelegten Gründen das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit bei der Abwägung mit den zu erwartenden Wirkungen des bereits erlittenen Vollzugs überwiegt. Dabei ist auch zu sehen, dass die berücksichtigungsfähige Vollzugsdauer vor dem Hintergrund der Schwere der Taten, die der Strafe, deren Aussetzung der Verurteilte begehrt, zu kurz ist, um mit der notwendigen Sicherheit beurteilen zu können, welche Wirkung der Strafvollzug auf den Verurteilten hatte. Nachdem die Vollstreckung am 28.02.2013 begonnen hatte, wurde wegen der Abschiebung des Verurteilten nach Belgien von der weiteren Vollstreckung bereits mit Wirkung zum 25.07.2013 gemäß § 456a Abs. 1 StPO abgesehen. Erst als der Verurteilte nach Wiedereinreise ins Bundesgebiet festgenommen wurde, wird die Freiheitsstrafe seit dem 25.04.2019 wieder vollstreckt. Unter diesen Umständen war es der Justizvollzuganstalt nicht möglich, einen aussagekräftigen Bericht über die Wirkungen des Vollzugs auf den Verurteilten zu erstatten. Damit besteht keine ausreichende Basis, um eine positive Prognose treffen zu können. Unerheblich ist dabei, dass die lange Unterbrechung der Vollstreckung nicht im Verantwortungsbereich des Verurteilten liegt. Denn verbleibende Zweifel, ob das Wagnis der Reststrafenaussetzung zu verantworten ist, gehen zu seinen Lasten, gleich aus welchem Grund sich die Zweifel ergeben (vgl. der Senat Beschluss vom 14. Juli 2016 - 1 Ws 150/16 L -, RuP 2016, 271).
2. Im Übrigen liegen auch nicht die besonderen Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zum Halbstrafenzeitpunkt nach § 57 Abs. 2 StGB vor. Sie ist nur möglich, wenn die verurteilte Person erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßt und diese zwei Jahre nicht übersteigt (Nr. 1) oder die Gesamtwürdigung von Tat, Persönlichkeit der Verurteilten Person und ihrer Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass besondere Umstände vorliegen (Nr. 2). Der Verurteilte ist aber weder Erstverbüßer im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB noch liegen bei ihm besondere Umstände im Sinne des § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB vor.
a. Zwar verbüßt der Verurteilte derzeit erstmals eine von einem deutschen Gericht verhängte und in Deutschland vollstreckte Freiheitsstrafe. Gegen ihn wurde aber bereits zuvor - zumindest teilweise - eine Freiheitsstrafe in Belgien in einer Haftanstalt vollstreckt, was der Anwendung des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB entgegensteht.
In Teilen der Kommentarliteratur wird es - ohne weitere Differenzierung - abgelehnt, dem Verurteilten wegen einer im Ausland vollstreckten Freiheitsstrafe das Erstverbüßerprivileg zu versagen, weil die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe im Ausland mit einer in Deutschland erfolgten Strafvollstreckung nicht vergleichbar sei (Schönke/Schröder/Kinzig, 30. Aufl. 2019, StGB § 57 Rn. 23a; Lackner/Kühl/Heger, 29. Aufl. 2018, StGB § 57 Rn. 15); Trüg in: Leipold/Tsambikakis/Zöller, Anwaltkommentar StGB, 2. Aufl. 2015, § 57 Rn. 3; MüKoStGB/Groß, 3. Aufl. 2016, StGB § 57 Rn. 25).
Diese Ansicht teilt der Senat nicht. Zum einen schließt der Wortlaut des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB die Berücksichtigung einer im Ausland vollstreckten Freiheitsstrafe nicht aus. Zum anderen würde es dem Zweck dieser Vorschrift widersprechen, solche Freiheitsstrafen grundsätzlich außer Acht zu lassen.
Der Einführung des § 57 Abs. 2 Nr. 1 StGB mit dem 23. Strafrechtsänderungsgesetz vom 13.04....