Leitsatz (amtlich)
1. Im Verfahren über einen Antrag eines Jugendamtes auf Entlassung und Bestellung eines anderen Jugendamtes zum Vormund kommt eine Abweichung von den Vorgaben des SGB VIII zur örtlichen Zuständigkeit der Jugendämter allenfalls im Ausnahmefall aus Gründen des Kindeswohls in Betracht.
2. Zumindest im Anwendungsbereich des § 88a SGB VIII könnte von einer Bindung der Familiengerichte an die Vorgaben des SGB VIII zur örtlichen Zuständigkeit der Jugendämter auszugehen sein.
Verfahrensgang
AG Bad Säckingen (Beschluss vom 27.09.2016) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Jugendamtes B. wird der Beschluss des AG - Familiengerichts - Bad Säckingen vom 27.09.2016 aufgehoben und der Antrag des Jugendamtes A. vom 24.08.2016 zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten des Verfahrens beider Instanzen werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Gegenstand des Verfahrens ist die Bestimmung des für die Amtsvormundschaft zuständigen Jugendamtes.
Der am... 2002 geborene, aus Afghanistan stammende Betroffene hält sich als unbegleiteter Flüchtling in Deutschland auf. Er wurde, nachdem er am 01.01.2016 im Zug von Kiel nach Zürich an der Schweizer Grenze aufgegriffen worden war, vom insofern gemäß § 88a Abs. 1 SGB VIII zuständigen Jugendamt A. in Obhut genommen, zunächst am 01.01.2016 vorläufig gemäß § 42a SGB VIII und sodann am 01.02.2016 gemäß § 42 SGB VIII, und zunächst in S. im Landkreis A. untergebracht. Eine Zuweisungsentscheidung nach § 42b SGB VIII wurde nicht getroffen (AS 9, 121; 6 F 40/16 AS 1). Mit Beschluss vom 16.02.2016, 6 F 40/16 (AS 3) stellte das Familiengericht Bad Säckingen im Wege der einstweiligen Anordnung auf Anregung des Jugendamtes A. vom 11.02.2016 (6 F 40/16 AS 1) das Ruhen der elterlichen Sorge fest, ordnete für den Betroffenen eine Vormundschaft an und bestellte das Jugendamt A. zum Vormund.
Spätestens seit dem 08.04.2016 ist der Betroffene in einer Jugendhilfeeinrichtung in B. untergebracht (AS 11, 121). Mit Schreiben vom 13.07.2016 stellte das Jugendamt A. vor diesem Hintergrund ein Übernahmeersuchen an das Jugendamt B. auf Grundlage des § 88a Abs. 4 SGB VIII, welches das Jugendamt B. mit Schreiben vom 18.07.2016 unter Hinweis darauf ablehnte, dass eine Übernahme auf Grundlage des § 88a Abs. 2 Satz 3 SGB VIII in Betracht käme (AS 13 bis 17).
Mit Schriftsatz vom 24.08.2016 (AS 13) hat das Jugendamt A. beim Familiengericht die Entlassung als Vormund und die Bestellung des Jugendamtes B. zum Vormund beantragt. Das Jugendamt B. ist der Übernahme der Betreuung entgegengetreten (AS 23). Mit Beschluss vom 27.09.2016 hat das Familiengericht das Jugendamt A. als Vormund entlassen und das Jugendamt B. zum Vormund bestellt (AS 29). Mit am 24.10.2016 beim AG eingegangenem Schriftsatz (AS 39) hat das Jugendamt B. hiergegen Beschwerde eingelegt.
Das Jugendamt B. trägt vor, die Zuständigkeit für die Amtsvormundschaft sei in § 88a Abs. 4 SGB VIII geregelt. Eine hiervon abweichende Zuständigkeitsbestimmung komme allenfalls im Ausnahmefall in Betracht. Ein derartiger Ausnahmefall könne aber vorliegend bereits aus dem Grunde nicht angenommen werden, dass das Jugendamt A. auch in ca. 10 weiteren Fällen unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in B. untergebracht habe. Es bestehe Bereitschaft, den Fall auf Grundlage des § 88a Abs. 2 Satz 3 SGB VIII zu übernehmen. Hierdurch würde erreicht, dass das Jugendamt B. nicht nur für die tendenziell aufwendigere Vormundschaft, sondern auch für die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe zuständig würde und dass insbesondere der Fall auf die Aufnahmequote des Jugendamtes B. angerechnet würde. Von dieser angebotenen Möglichkeit habe das Jugendamt A. indes ohne Begründung keinen Gebrauch gemacht.
Das Jugendamt A. trägt vor, zwar läge die Zuständigkeit gemäß § 88a Abs. 4 SGB VIII für die Amtsvormundschaft weiterhin beim Jugendamt A. Diese statische Zuständigkeitsregelung sei indes bereits im Gesetzgebungsverfahren kritisiert worden. Aufgrund der räumlichen Entfernung zum aktuellen Aufenthalt des Betroffenen könne der regelmäßige Mündelkontakt gemäß § 1793 Abs. 1a BGB nicht sichergestellt werden. Dieser sei gerade für den Betroffenen aufgrund dessen psychischer Verfassung von besonderer Bedeutung. Für das Familiengericht, welches an die Zuständigkeitsregelung des § 88a Abs. 4 SGB VIII nicht gebunden sei, sei alleiniges Entscheidungskriterium das Wohl des Kindes, hinter welchem anderweitige Erwägungen zurücktreten müssten (AS 13, 27, 121 f.).
Der Betroffene wurde persönlich angehört. Er hat sich dahingehend eingelassen, die Bestellung des Jugendamtes B. zum Vormund zu bevorzugen, da die Betreuung durch das Jugendamt A. zu der Zeit, als er sich im dortigen Raum aufgehalten habe, ungenügend gewesen sei, während er sich durch das Jugendamt B. gut betreut fühle. Dauerhaft wolle er nach England, wo seine Schwester lebe.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den ...