Leitsatz (amtlich)
Die Sicherungsverwahrung ist auch dann gemäß Art. 316e Abs. 3 Satz 1 EGStGB für erledigt zu erklären, wenn innerhalb einer materiellrechtlichen Tat ein nach neuem Recht nicht mehr als "sicherungsverwahrungswürdig" angesehenes Delikt Grundlage der damaligen Anordnung der Sicherungsverwahrung war, während ein zugleich tateinheitlich verwirklichtes Delikt im Sinne des § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB n.F. - hier eine vorsätzliche Körperverletzung - für die Anordnung der Maßregel bedeutungslos war.
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht M. II gegen den Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - F. vom 04. Februar 2011 wird als unbegründet verworfen.
Die Gerichtskosten und notwendigen Auslagen des Verurteilten im Beschwerdeverfahren fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I. Der heute 69-jährige, vielfach und gravierend im Bereich der Diebstahlsdelinquenz vorbestrafte Sicherungsverwahrte H. S. wurde durch Urteil des Landgerichts M. II vom 07.04.2000 - rechtskräftig seit dem 11.08.2000 - wegen Diebstahls in 40 Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von halbautomatischen Selbstladewaffen mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm und in einem weiteren Fall in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt. Zugleich wurde - gestützt auf § 66 Abs. 2 in Verbindung mit § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB in der zum Zeitpunkt des Urteils geltenden Fassung - die Sicherungsverwahrung angeordnet.
Der Verurteilte hatte nach seiner letzten Haftentlassung (Oktober 1994) im Zeitraum vom September 1997 bis zu seiner Festnahme am 12.01.1999 in einer Vielzahl von Fällen gewerbsmäßig Einbruchsdiebstähle überwiegend in Zahnarzt- und sonstige Arztpraxen sowie Dentallabors begangen, wobei er jeweils mit einem seiner Kraftfahrzeuge unterwegs war. In drei der vierzig abgeurteilten Fälle erbeutete der Verurteilte Schusswaffen, von denen eine in einem Fall geladen war. Im Fall 40 wurde er beim letzten seiner Diebstähle in eine Tierarztpraxis in W. nach deren Verlassen von der Polizei gestellt. Bei der Festnahme widersetzte er sich und verletzte zwei der drei Polizisten, die ihn überwältigten, wobei diese "Hautabschürfungen an den Händen sowie diverse Prellungen" erlitten.
Bis zum 10.01.2009 verbüßte der Verurteilte die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe in vollem Umfang. Seit dem 11.01.2009 wird die Sicherungsverwahrung vollzogen. Mit Beschluss vom 19.05.2009 bestätigte die Strafvollstreckungskammer K. den Vollzug der Sicherungsverwahrung. Sie stützte sich dabei auf ein kriminalprognostisches Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. W., das am 17.12.2008 in schriftlicher Form vorlag. Dieser diagnostizierte bei dem Verurteilten eine dissoziale Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und querulatorischen Anteilen. Die Feststellung der "Gefährlichkeit" für die Allgemeinheit beziehe sich nur auf den Hang zur Begehung von Einbruchsdiebstählen (vgl. S. 56 des Gutachtens). Die gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer K. eingelegte sofortige Beschwerde wies der Senat mit Beschluss vom 31.07.2009 (2 Ws 262/09) zurück.
Nachdem am 01.01.2011 der neu geschaffene Art. 316 e EGStGB in Kraft getreten war, wurde der in der Justizvollzugsanstalt F. befindliche Sicherungsverwahrte am 04.02.2011 durch die Strafvollstreckungskammer F. persönlich angehört. Mit Beschluss vom 04.02.2011 erklärte das Landgericht die Sicherungsverwahrung für erledigt, da Art. 316 e Abs. 3 EGStGB eingreife. Der Verurteilte sei mit Rechtskraft der Entscheidung zu entlassen. Ein späterer Zeitpunkt zur Durchführung von Entlassungsvorbereitungen gemäß Art. 316 e Abs. 3 Satz 2 EGStGB sei nicht erforderlich. Mit der Entlassung trete Führungsaufsicht ein.
Gegen diese Entscheidung legte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht M. II mit Schriftsatz vom 08.02.2011 am 10.02.2011 sofortige Beschwerde ein. Im Hinblick auf eine der durch das Landgericht M. II am 07.04.2000 abgeurteilten Taten, bei der auch eine vorsätzliche Körperverletzung vorlag, sei § 316 e Abs. 3 EGStGB vorliegend nicht einschlägig. Hierauf hat der Verteidiger des Sicherungsverwahrten mit Schriftsatz vom 24.02.2011 erwidert und die Staatsanwaltschaft unter Hinweis auf ihren bisherigen Vortrag mit Schreiben vom 07.03.2011 repliziert.
II. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist gemäß § 316 e Abs. 3 Satz 4 EGStGB in Verbindung mit § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
Nach § 316 e Abs. 3 Satz 1 EGStGB erklärt das Gericht eine nach § 66 StGB vor dem 1. Januar 2011 rechtskräftig angeordnete Sicherungsverwahrung für erledigt, wenn die Anordnung ausschließlich auf Taten beruht, die nach § 66 StGB in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung nicht mehr Grundlage für eine solche Anordnung sein können. Nach den in § 66 Abs. 1 in Satz 1 Nr. 1 a bis c StGB in der aktuellen ...