Entscheidungsstichwort (Thema)

Nachträgliche Gesamtstrafe bei Beschluss über die Tagessatzhöhe

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einem Beschluss über die Höhe der Tagessätze (§ 411 Abs. 1 Satz 3 StPO) handelt es sich um eine Sachentscheidung im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB.

 

Normenkette

StGB § 55 Abs. 1 S. 2; StPO § 411 Abs. 1 S. 3

 

Verfahrensgang

LG Heidelberg (Entscheidung vom 12.12.2018; Aktenzeichen 4 Ns 510 Js 20629/17)

 

Tenor

  1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Heidelberg vom 12.12.2018 im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben.
  2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.
  3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Heidelberg zurückverwiesen.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht W verurteilte den Angeklagten wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Urkundenfälschung zu der Gesamtfreiheitstrafe von acht Monaten, bestimmte für die Erteilung einer Fahrerlaubnis eine Sperrfrist von zwei Jahren und zog den vom Angeklagten gefälschten Führerschein ein. Die wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten verwarf das Landgericht mit Urteil vom 12.12.2018, gegen das sich der Angeklagte mit der form- und fristgerecht eingelegten und begründeten, auf die allgemeine Sachrüge gestützten Revision wendet.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe beantragt mit Stellungnahme vom 20.03.2019,

die Revision des Angeklagten kostenpflichtig als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Revision des Angeklagten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang nach einstimmig getroffener Entscheidung (§ 349 Abs. 4 StPO) - vorläufigen - Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

1. Die Überprüfung der Einzelstrafen und der Maßregel- und Einziehungsentscheidungen deckt keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere war das Landgericht durch § 331 Abs. 1 StPO nicht an der Nachholung der Festsetzung von Einzelstrafen gehindert (BGHSt 30, 93; 35, 208).

2. Dagegen kann die Gesamtstrafe keinen Bestand haben, weil ein Härteausgleich dafür zu Unrecht versagt wurde, dass die an sich gesamtstrafenfähige Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Oberndorf am Neckar vom 7.2.2017 nicht mehr einbezogen werden kann.

a) Dabei ist das Landgericht zutreffend davon ausgegangen, dass vor der Bezahlung der genannten Geldstrafe die Voraussetzungen für die Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe vorlagen.

1) Nach § 55 Abs. 1 StGB ist eine Gesamtstrafe - nachträglich - auch dann zu bilden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter vor der früheren Verurteilung eine andere Straftat begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt dabei gemäß § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

2) Für das Strafbefehlsverfahren ist dabei durch höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt, dass es auf den Erlass des Strafbefehls ankommt, soweit kein Einspruch eingelegt wurde (§ 410 Abs. 3; BGHSt 33, 230); ansonsten ist das letzte Sachurteil maßgeblich, das auf die wegen des Einspruchs durchgeführte Hauptverhandlung ergeht (BGH NStZ 2002, 590; Beschluss vom 9.8.2000 - 2 StR 286/00, juris; LK-Rissing-van Saan, StGB, 12. Aufl., § 55 Rn. 5; SK-Jäger, StGB, 9. Aufl., § 55 Rn. 6).

3) Auf welchen Zeitpunkt es ankommt, wenn der Einspruch auf die Tagessatzhöhe beschränkt wurde und darüber gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO durch Beschluss entschieden wird, ist dagegen - soweit ersichtlich - noch nicht Gegenstand einer veröffentlichten obergerichtlichen Entscheidung gewesen. Nach Auffassung des Senats kommt es insoweit auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung gemäß § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO an.

Dem steht der Wortlaut des § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB nicht entgegen, auch wenn dort auf das Urteil in dem früheren Verfahren abgestellt wird. Insoweit ist aber zu berücksichtigen, dass die Möglichkeit der Entscheidung durch Beschluss nach § 411 Abs. 1 Satz 3 StPO erst durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 24.8.2004 (BGBl. I 2198, berichtigt am 1.9.2004, BGBl. I 2300) eingeführt wurde, ohne dass der Gesetzgeber dabei die Auswirkungen auf die nachträgliche Gesamtstrafenbildung im Blick hatte (vgl. BT-Drs. 15/3482 S. 22).

Für eine deshalb mögliche erweiternde Auslegung von § 55 Abs. 1 Satz 2 StGB spricht der Zweck der Regelung. Der Angeklagte soll, wenn über Straftaten, die nach der Zeit ihrer Begehung in dem ersten Urteil gemeinschaftlich hätten abgeurteilt werden können, nicht dadurch einen Nachteil erleiden, dass wegen anderer Taten in einem getrennten Verfahren durch ein weiteres Urteil auf Freiheitsstrafe erkannt wird. Er soll vielmehr so gestellt werden, wie wenn sämtliche Taten in dem ersten ("früheren") Urteil abgeurteilt worden wären. Maßgeblich ist danach die letzte tatrichterliche Entscheidung zur Schuld- oder Straffrage, bei der die Voraussetzungen der Bildung einer nachträglich...

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