Leitsatz (amtlich)

1. Erweckt ein Zivilurteil aus der Sicht einer vernünftigen Partei den Eindruck, der Richter habe sich mit ihren wesentlichen Einwendungen im Verfahren nicht befasst, so kann dies - in einem vor dem selben Richter zu führenden Folgeprozess - die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.

2. Der Verlust des Ablehnungsrechts gem. § 43 ZPO (Einlassung vor dem Richter, ohne den bekannten Ablehnungsgrund geltend zu machen) gilt nur für den anhängigen Rechtsstreit und nicht für einen nachfolgenden Prozess.

 

Verfahrensgang

AG (Aktenzeichen 9 C 289/05)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des AG X - C 2 AR 2/06 - (soweit sich der Beschluss auf das Verfahren des AG X 9 C 289/05 bezieht) aufgehoben. Die Ablehnung von Richter am AG A. wegen Besorgnis der Befangenheit im Verfahren des AG X 9 C 289/05 wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Die im Bezirk des AG X wohnhafte Klägerin suchte am 8.8.2002 den Beklagten, der in Frankreich als Avocat tätig ist, in dessen Kanzlei in S./Frankreich auf. Anlass dieses Gesprächs war der Umstand, dass die Klägerin erwog, in Frankreich eine Zivilklage zu erheben. Die Parteien führten ein Gespräch. Nach diesem Gespräch verlangte der Beklagte von der Klägerin die Zahlung eines Beratungshonorars i.H.v. 59,80 EUR. Die Klägerin hielt diese Forderung aus verschiedenen Gründen für nicht gerechtfertigt.

Der Beklagte machte seine Forderung im Verfahren 9 C 142/03 beim AG X geltend. Mit Urteil vom 18.12.2003 gem. § 495a ZPO ("Verfahren nach billigem Ermessen") verurteilte das AG X die Klägerin zur Zahlung des vom Beklagten geltend gemachten Beratungshonorars nebst Zinsen. Zuständig für dieses Verfahren und das Urteil war Richter am AG A..

Mit einer Klage vom 27.2.2004 zum AG X hat die Klägerin beantragt, das Urteil vom 18.12.2003 im Wege der Restitutionsklage aufzuheben. Mit Urteil vom 15.7.2004 hat das AG X die Restitutionsklage abgewiesen (AG X 9 C 75/04). Zuständig war auch in diesem Verfahren Richter am AG A.

Mit Schriftsatz vom 5.10.2005 hat die Klägerin zum AG X eine Vollstreckungsabwehrklage (AG X 9 C 289/05) erhoben. Sie wendet sich gegen die Vollstreckung des Beklagten aus dem Urteil im Verfahren des AG X 9 C 142/03 und gegen die Vollstreckung des Beklagten aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen in den beiden Vorprozessen. Die Klägerin vertritt die Auffassung, sämtliche Forderungen seien bezahlt. Der Beklagte ist hingegen der Meinung, die Titel seien noch nicht verbraucht.

Mit Schriftsatz vom 14.12.2005 an das AG X hat die Klägerin erklärt, sie lehne den auch für das Verfahren der Vollstreckungsgegenklage zuständigen Richter am AG A. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Sie stützt das Ablehnungsgesuch auf die Tätigkeit des abgelehnten Richters in den beiden Vorprozessen. Sie meint, der Richter hätte im Verfahren 9 C 142/03 nicht über die Honorarklage des Beklagten entscheiden dürfen, da ausschließlich französische Gerichte zuständig gewesen seien. Außerdem wäre nach französischem Recht eine spezielle Kostenfestsetzung durch die zuständigen Stellen in Frankreich erforderlich gewesen. Mit einer bestimmten Formulierung im Urteil vom 18.12.2003 habe der Richter die Klägerin (damalige Beklagte) verhöhnt. Vor allem habe der Richter den Vortrag der Klägerin (damalige Beklagte) in dem Rechtsstreit vollständig ignoriert. Er sei vermutlich dahingehend voreingenommen, dass er der Darstellung eines Juristen (des anwaltlich vertretenen Beklagten) im Verhältnis zur Klägerin den Vorzug gebe.

Im Restitutionsverfahren - 9 C 75/04 - sei der abgelehnte Richter nicht zuständig gewesen. Die Geschäftsverteilung beim AG X bei der Zuteilung von Zivilverfahren werde nicht ordnungsgemäß gehandhabt. Die Klägerin geht davon aus, dass der abgelehnte Richter im Verfahren 9 C 75/04 die Möglichkeit gehabt habe, sich die Klage auszusuchen, über die er entscheiden wolle.

Der abgelehnte Richter hat sich mit Verfügung vom 10.1.2006 zu dem Ablehnungsgesuch dienstlich geäußert. Der Beklagte ist dem Befangenheitsgesuch entgegengetreten. Er sieht keine Anhaltspunkte für eine Besorgnis der Befangenheit des abgelehnten Richters.

Mit Beschluss vom 31.1.2006 (C 2 AR 2/06) hat der für die Entscheidung über Befangenheitsgesuche zuständige Richter des AG X den Befangenheitsantrag der Klägerin zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe dieses Beschlusses verwiesen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 17.2.2006, die am 18.2.2006 beim AG X eingegangen ist. Die Klägerin hält an der Begründung ihres Befangenheitsgesuches fest. Sie meint, die Entscheidung des AG X vom 31.1.2006 gehe nicht auf die wesentlichen Gründe ein, die sie für die Besorgnis der Befangenheit angeführt habe.

Der Beklagte hatte im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Er hält die sofortige Beschwerde der Klägerin für unbegründet und verteidigt den Beschluss des AG X vom 31.1.2006.

II. Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig und begründet. Entgegen der A...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge