Leitsatz (amtlich)
1. Bei einer Weigerung der Eltern, das Kind eine Schule besuchen zu lassen, kommt eine Kindeswohlgefährdung in Betracht, auch wenn die Eltern auf andere Weise für eine hinreichende Wissensvermittlung und sonstige Entwicklung des Kindes sorgen.
2. Allein die Möglichkeit von schulrechtlichen Maßnahmen entbindet die Familiengericht nicht von der Pflicht, bei Schulverweigerung eine Kindeswohlgefährdung zu prüfen.
Verfahrensgang
AG Bad Säckingen (Aktenzeichen 3 F 13/22) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Eltern wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bad Säckingen vom 22.08.2022 in Ziffern 1 bis 3 des Tenors abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Den Eltern wird vorläufig das Gebot erteilt, ab Aufnahme des Kindes D. B., geboren 2010, in das Schulprojekt von O. in L. für eine regelmäßige Teilnahme des Kindes nach den Vorgaben dieser Einrichtung mit dem Ziel eines Übergangs des Kindes in den regulären Schulbesuch zu sorgen.
Im Übrigen sind derzeit vorläufig keine weiteren sorgerechtlichen Maßnahmen veranlasst.
2. Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; außergerichtliche Kosten im Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
3. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Eltern wenden sich mit ihrer Beschwerde gegen vorläufige Maßnahmen zur Erzwingung des Schulbesuchs im Rahmen des § 1666 BGB.
Die verheirateten Eltern sind gemeinsam sorgeberechtigt für ihren Sohn D. B., geb. 2010 (fast 13 Jahre alt). Er hat zwei deutlich ältere Geschwister (2002 und 2004 geboren). Die Mutter ist ausgebildete Erzieherin, hatte die letzten Jahre eine 20%-Stelle in einer KiTa. Diese hat sie zum Mai 2022 aufgegeben. Der Vater ist Werkzeugmacher und arbeitet als Konstrukteur. Die Familie bewohnt und bewirtschaftet einen Hof in einem Seitental im Schwarzwald, die beiden älteren Geschwister leben noch dort. Die Großeltern wohnen in einem separaten Haus auf dem Hof.
D. hatte zunächst die Grundschule besucht. Schon dort soll es zu Auffälligkeiten gekommen sein, Zwangshandlungen und Ängsten des Kindes. Nach Darstellung der Eltern sei D. zum Außenseiter geworden. Es gab regelmäßige Gespräche in der psychologischen Beratungsstelle (Frau B.), die zunächst mit der Coronapandemie endeten, im Mai 2021 wieder begannen und aktuell andauern (II 64).
In der Coronazeit im September 2020 wechselte er auf die Realschule in Z. Die Eltern besorgten ein Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht, das von der Schule akzeptiert wurde, allerdings musste er, soweit Präsenzunterricht stattfand, an einem Einzeltisch sitzen. Als die Schule im Frühjahr 2021 wieder regulär zum Präsenzunterricht überging, blieb D. zu Hause, was zunächst von der Schule hingenommen wurde. Er erhielt von dort die Unterrichtsmaterialien. Die Schule gestattete dem Kind, ohne Test und Maske in der Schule die Klassenarbeiten zu schreiben (I 9). Im Zeugnis vom 28.07.2021 ergibt sich ein Durchschnitt von 1,7. Im Ergebnis hat das Kind seit Dezember 2020 nicht mehr am Präsenzunterricht teilgenommen.
Mit Beginn des Schuljahrs 2021/22 im September 2021 drängte die Schule auf ein Erscheinen des Kindes, die Übersendung von Materialien wurde eingestellt, auch eine Teilnahme an Klassenarbeiten erfolgte nicht mehr. Die Eltern verweigerten den Schulbesuch des Kindes mit Hinweis auf die geltende Test- und Maskenpflicht. Es wurde ein Antrag auf Befreiung vom Präsenzunterricht gestellt, das ärztliche Attest aber nur für wenige Sekunden vorgezeigt. Mittlerweile haben die Eltern das Attest ("aus gesundheitlichen Gründen") vorgelegt (II 61, 62). Die Eltern haben dargelegt, dass an Wochentagen zu Hause eine intensive Beschulung unter Aufsicht der Mutter erfolge. Dazu seien staatliche Schulbücher angeschafft worden.
Die Schule hat die Eltern mit vielen Schreiben aufgefordert, für den Schulbesuch zu sorgen. Am 04.10.2021 erstmals und dann wöchentlich wurden beim zuständigen Ordnungsamt Anträge auf Einleitung eines Bußgeldverfahrens gestellt. Daraufhin wurden in erheblichem Umfang Ordnungsgelder festgesetzt (I 7). Die Eltern berichten von 14 Bescheiden, die ergangen sind.
Auch das Jugendamt wurde von der Schule am 04.10.2021 informiert. Am 28.10.2021 wurde mit der Familie (Eltern und Kind) und der Schulleitung ein Gespräch beim Jugendamt geführt. Dieses führte zu keiner Lösung. Das Jugendamt äußerte, keine Maßnahmen ergreifen zu wollen, da eine Kindeswohlgefährdung nicht bestehe.
Mit Schreiben vom 26.01.2022 wandte sich die Schule daraufhin direkt an das Familiengericht (I 1). Die Eltern traten entgegen (I 203). Das Kind schrieb in einer "Willenserklärung" (I 211): "Außerdem gilt die Schulpflicht nur für juristische Personen, aber ich bin ein Mensch."
Zum Anhörungstermin vom 31.03.2022 erschien die Familie nicht (I 213). Sie hatte das Familiengericht aufgefordert, zum Nachweis der eigenen Legalität die Gründungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland vorzulegen; das Familiengericht war dem nicht nachgekommen. Das Familiengericht ...