Normenkette
ZPO § 93
Verfahrensgang
LG Konstanz (Urteil vom 25.01.2022; Aktenzeichen A 3 O 331/21) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird die Kostenentscheidung im Anerkenntnisurteil des Landgerichts Konstanz vom 25.01.2022, Az. A 3 O 331/21 (Ziff. 3 der Urteilsformel) dahingehend abgeändert, dass der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 99 Abs. 2 S. 1 ZPO) und begründet.
Die Voraussetzungen des § 93 ZPO liegen vor.
Das Anerkenntnis erfolgte "sofort" i.S.v. § 93 ZPO, nämlich innerhalb der Klageerwiderungsfrist. Außerdem bestand keine Klageveranlassung i.S.v. § 93 ZPO, denn dem Haftpflichtversicherer ist ein angemessener Prüfzeitraum zuzubilligen, der vorliegend noch nicht überschritten war, als die Klage eingereicht wurde. Die Prüffrist beginnt mit dem Zugang eines spezifizierten Anspruchsschreibens. Ihre Dauer ist vom Einzelfall abhängig, wobei die wohl überwiegende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum bei einem durchschnittlichen Verkehrsunfall einen Zeitraum von vier bis sechs Wochen als angemessen ansieht (vgl. z.B. Saarländisches OLG, Beschluss vom 17.5.2019 - 4 W 4/19 - m.w.N.); eine schematische Betrachtung verbietet sich zwar, vielmehr kommt es stets auf die Umstände des Einzelfalls an, diese geben vorliegend aber keinen Anlass, eine kürzere Prüfungsfrist zu gewähren.
Nach diesen Maßstäben bestand hier, nachdem der Anspruch erstmals mit Schreiben vom 27.09.2021 spezifiziert worden war, am 16.10.2021, als die Klage eingereicht wurde, noch keine Klageveranlassung, weshalb die Voraussetzungen des § 93 ZPO vorliegen.
Eine andere Beurteilung ist auch im Hinblick darauf geboten, dass - worauf das Landgericht maßgeblich abstellt - mehrere Anwaltsschreiben unbeantwortet geblieben waren. Denn diese erfolgten in derart rascher Folge, dass der Kläger sich am 16.10.2021 noch nicht zur Klageerhebung veranlasst sehen durfte. Andernfalls hätte der Anspruchsteller es in der Hand, die Prüfungsfrist des Haftpflichtversicherers dadurch zu verkürzen, dass er diesen mit mehreren Schreiben überzieht. Die vom Landgericht zitierten Entscheidungen des Senats gebieten keine andere Entscheidung. Dem Beschluss vom 27.09.2019 - 9 W 37/19 - lag ein Fall zugrunde, in dem der Anspruch mit (weiterem) Schreiben vom 23.01.2019 beziffert worden und Zahlungsfrist bis 03.02.2019 gesetzt worden war, ehe in einem weiteren Schreiben vom 14.02.2019 die Schadensabrechnung ergänzt und Zahlungsfrist bis 25.02.2019 gesetzt worden war, bevor schließlich am 28.02.2019 Klage eingereicht wurde. Dem Beschluss vom 01.12.2021 - 9 W 35/21 - lag ein Fall zugrunde, in dem der Kläger geltend gemacht hatte, er habe die Beklagte mit Emails vom 23.12.2019 und vom 25.01.2020 zur Zahlung aufgefordert, ehe er schließlich die Klageschrift vom 09.10.2020 einreichte. Diese Zeiträume gehen weit über diejenigen hinaus, die vorliegend bis zur Klageeinreichung verstrichen sind.
Soweit das Landgericht meint, die Beklagte hätte noch vor Klageeinreichung zumindest eine zeitnahe Rückmeldung dahingehend abgeben müssen, dass eine Prüfung der Angelegenheit innerhalb der gesetzten Frist nicht möglich sei, besteht eine solche Obliegenheit des Haftpflichtversicherers nicht. Allein entscheidend ist vielmehr, ob der angemessene Prüfzeitraum noch läuft. Ist dies der Fall, so muss der Haftpflichtversicherer keine Eingangsbestätigung oder Sachstandsbenachrichtigung erteilen, zumal ein solches Vorgehen seinerseits Arbeitskraft (auf Kosten der Versichertengemeinschaft) binden, den Geschädigten in der Sache aber nur hinhalten und die bloße Selbstverständlichkeit zum Ausdruck bringen würde, dass die Regulierungsprüfung noch läuft. Ebensowenig, wie ein bloßer "Vertröstungsbescheid" die Klageveranlassung i.S.v. § 93 ZPO (wenn sie aufgrund der Umstände besteht) zu beseitigen vermag, vermag sein Ausbleiben die Klageveranlassung zu begründen. Allein aufgrund der vorliegend verstrichenen Zeiträume zu befürchten, dass der Haftpflichtversicherer sich der Angelegenheit erst auf Klageerhebung hin annehmen werde, wäre lebensfremd.
Der vom Landgericht angeführte Umstand, dass eine erste Rückmeldung der Beklagten erst am 20.10.2021 erfolgte, erlaubt ebenfalls keine andere Beurteilung. Der Zeitraum nach Klageeinreichung bleibt bei der Beurteilung, ob Klageveranlassung bestand, außer Betracht, d.h. ein vorprozessual fehlender Klageanlass kann nicht rückschauend "nachwachsen" (OLG Düsseldorf NJW-RR 2020, 252 Rn. 9; OLG Saarbrücken NJW-RR 2017, 697; MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 93 Rn. 7; BeckOK ZPO/Jaspersen, 44. Ed. 1.3.2022, ZPO § 93 Rn. 26 m.w.N.).
Der sofortigen Beschwerde war daher stattzugeben; die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 91 ZPO.
Fundstellen
Haufe-Index 16239428 |
r+s 2024, 142 |