Entscheidungsstichwort (Thema)

Fahrlässigkeit hinsichtlich einer Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer dreispurig ausgebauten Landstraße. Anforderungen an die Urteilsgründe. Auseinandersetzung mit Augenblicksversagen

 

Leitsatz (amtlich)

›1. Bei einer dreispurig autobahnmäßig ausgebauten Landstraße mit Mittelleitplanke braucht ein auswärtiger Verkehrsteilnehmer außerhalb geschlossener Ortschaften nicht mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h zu rechnen, wenn keine Gründe für eine solche Einschränkung, wie z.B. Baustelle, Belagsmängel oder ähnliches vorhanden sind.

2. Ergibt sich diese Verkehrssituation aus einem zulässiger Weise zur Identifizierung des Betroffenen aus den Akten in Bezug genommenen Lichtbild, so muss sich der Tatrichter auch dann mit dem Vorliegen eines Augenblickversagens auseinandersetzen, wenn sich der Betroffene nach den Urteilsgründen nicht ausdrücklich hierauf berufen hat.‹

 

Verfahrensgang

AG Karlsruhe (Entscheidung vom 12.07.2005; Aktenzeichen 14 OWi 430 Js 41137/04)

 

Gründe

I. Das Amtsgericht verurteilte den Betroffenen am 12.07.2005 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 50 Euro und untersagte ihm gleichzeitig für die Dauer von einem Monat Kraftfahrzeuge jeglicher Art im Straßenverkehr zu führen. Nach den Feststellungen hatte der Betroffene am 29.03.2004 gegen 15:21 Uhr die L ... in ... in Höhe der Firma ... mit seinem PKW in Fahrtrichtung ... mit einem Tempo von 99 km/h befahren und die dort angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h überschritten.

Mit seiner auf die Rüge materiellen und formellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die vollständige Aufhebung des Urteils und dessen Zurückverweisung zur neuen Verhandlung und Entscheidung. Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat auf Aufhebung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch angetragen.

II. Die Rechtsbeschwerde hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; sie führt zum Wegfall des Fahrverbots.

1. Soweit sich der Betroffene gegen den Schuldspruch und die festgesetzte Geldbuße wendet, ist die Rechtsbeschwerde unbegründet i.S.v. §§ 349 Abs. 2 StPO, 46 OWiG.

2. Die Verhängung des Fahrverbots kann jedoch keinen Bestand haben.

Der Senat teilt die sorgfältig begründete Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, dass sich der Tatrichter mit dem Vorliegen eines "Augenblicksversagens" in den Urteilsgründen hätte auseinandersetzen müssen.

a. Zwar ist das Amtsgericht zunächst zu Recht vom Vorliegen eines Regelfalles der Anordnung eines Fahrverbots nach dem Bußgeldkatalog ausgegangen, da gegen den Betroffenen innerhalb der Frist eines Jahres aufgrund des Bußgeldbescheides des Kreises C. vom 09.10.2003 wegen einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mindestens 26 km/h eine seit 30.10.2003 bestandkräftige Geldbuße festgesetzt worden war und er nunmehr erneut eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h begangen hat, was als Regelfall nach § 4 Abs. 2 S. 2 BKatV einen beharrlichen Pflichtenverstoß i.S.d. § 25 Abs. 1 S.1 StVG indiziert, der regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (BGH NZV 1992, 117 ff.; BayObLG NZV 1994, 327; OLG Köln NStZ-RR 1996, 52; OLG Karlsruhe VRS 88, 476).

b. Eine solche Bewertung scheidet aber aus, wenn der Verkehrsverstoß lediglich auf eine augenblickliche Unaufmerksamkeit zurückzuführen ist, die jeden sorgfältigen und pflichtbewussten Verkehrsteilnehmer einmal unterlaufen kann. In einem solchen Fall ist die Verhängung eines Fahrverbots nicht angezeigt, wenn der Verstoß nur auf einfacher Fahrlässigkeit beruht (grundlegend BGHSt 43, 241 ff.; OLG Köln VRS 97, 375: "einzelnes Verkehrszeichen am linken Fahrbahnrand"). In solchen Fällen des "Augenblicksversagens" indiziert zwar der in der BKatV beschriebene Regelfall (hier: § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV) das Vorliegen einer groben bzw. - wie hier - beharrlichen Pflichtverletzung i.S.d. § 25 Abs.1 StVG, es fehlt jedoch an einer ausreichenden individuellen Vorwerfbarkeit. Ein Fahrverbot ist nämlich nur dann veranlasst, wenn der Verstoß auch subjektiv auf besonders grobem Leichtsinn, Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruht und einen so hohen Grad an Verantwortungslosigkeit aufweist, dass es zur Einwirkung auf den Betroffenen grundsätzlich eines ausdrücklichen Denkzettels durch ein Fahrverbot bedarf (vgl. ausführlich OLG Karlsruhe VRS 104, 454 ff; 100, 460 ff.). Auch bei einem beharrlichen Pflichtenverstoß i.S.d. § 25 Abs. 1 Satz 1 StVG i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV muss die Geschwindigkeitsüberschreitung auf einem Mangel an rechtstreuer Gesinnung beruhen (OLG Hamm NStZ-RR 1999, 374 ff.; OLG Braunschweig DAR 1999, 273 f.), woran es bei einem bloßen "Augenblicksversagen" in der Regel fehlen wird.

c. Zwar ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht ausdrücklich, dass sich der Betroffene in der Hauptverhandlung auf das Vorliegen eines solchen Augenblicksversagens berufen hat; dies war aber vorliegend ausnahmsweise entbehrlich, weshalb der ent...

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