Entscheidungsstichwort (Thema)
Herausgabe
Tenor
Das Gericht hat bei der Prüfung, ob Eigenbedarf vorliegt, nicht lediglich die vom Vermieter geltend gemachten Tatsachen zu berücksichtigen, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden, ob er ein vernünftiges, billigenswertes Interesse an der Erlangung der Wohnung hat.
Tatbestand
I.
Die Klägerin hat im 4. Obergeschoß eines ihr gehörenden Mehrfamilienhauses in K. eine ca. 50 qm große Zwei-Zimmer-Wohnung an die Erstbeklagte vermietet. Diese hat den Zweitbeklagten in die Wohnung aufgenommen.
Die Klägerin hat der Erstbeklagten die Wohnung zum 31.7.1981 unter Berufung auf Eigenbedarf gekündigt. Sie hat geltend gemacht, ihre im Jahre 1902 geborene Schwester sei aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr in der Lage, ihre bisherige ca. 90 qm große Drei-Zimmer-Wohnung zu versorgen. Die Klägerin benötige deshalb die Wohnung der Beklagten für ihre Schwester, zumal sie nach dem bevorstehenden Wegzug von deren Tochter aus K. die einzige Familienangehörige sei, die die Schwester unterstützen und im Krankheitsfall pflegen könne.
Die Beklagten sind der zum Amtsgericht Karlsruhe erhobenen Räumungsklage entgegengetreten. Sie haben bestritten, daß die Schwester die Wohnung beziehen will, und darauf hingewiesen, die Wohnung sei wegen ihrer Lage im 4. Obergeschoß für einen gesundheitlich beeinträchtigten alten Menschen ungeeignet.
Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Während des Berufungsverfahrens ist die Schwester der Klägerin verstorben. Die Klägerin hat daher die Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beklagten haben dem widersprochen und Abweisung der Klage beantragt.
Das Landgericht Karlsruhe hat nach Beweisaufnahme die Überzeugung gewonnen, daß die Klägerin die Wohnung ihrer Schwester wirklich zur Verfügung stellen wollte und für jene auch ein billigenswertes Interesse daran bestand, eine kleinere Wohnung zu beziehen. Andererseits ist die Kammer der Auffassung, eine nur über die Treppe erreichbare Wohnung im 4. Obergeschoß sei für die Schwester besonders ungünstig gewesen, weil sie diese wegen ihres angegriffenen Gesundheitszustands nicht oder nur mit größter Anstrengung ohne fremde Hilfe habe erreichen können.
Die Kammer hat jedoch Bedenken, ob bei Prüfung des Eigenbedarfs eine Gesamtschau aller Umstände vorzunehmen ist, und hat dem Senat deshalb durch Beschluß vom 30.7.1982 folgende Frage zum Rechtsentscheid vorgelegt:
Sind bei der Prüfung, ob Eigenbedarf im Sinne von § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB vorliegt, lediglich die vom Vermieter geltend gemachten Gründe für die Erlangung der Wohnung zu berücksichtigen, oder ist zu prüfen, ob die vom Vermieter beabsichtigte Nutzung bei einer Gesamtschau aller Umstände vernünftig erscheint?
Entscheidungsgründe
II.
Die Vorlage ist zulässig.
Die vom Landgericht vorgelegte Rechtsfrage ist in dieser Form, soweit ersichtlich, bisher weder in der Rechtsprechung noch in der Literatur erörtert worden. Gleichwohl ist sie von grundsätzlicher Bedeutung; denn es handelt sich hierbei um einen Teilaspekt des umfassenderen, rechtlich unterschiedlich beurteilten Problems, wie intensiv der Eigenbedarf sein muß, um eine Kündigung nach § 564 b Abs. 2 Nr. 2 BGB zu rechtfertigen. Da es aufgrund ganz verschiedener Tatsachen immer wieder vorkommen kann, daß bei Geltendmachung von Eigenbedarf verschiedene für und gegen die Inanspruchnahme der Wohnung durch den Vermieter sprechende Umstände zusammentreffen, hat die Frage erhebliche über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung.
Das Landgericht hat hinreichend dargelegt, daß nach seiner für die Entscheidungserheblichkeit maßgebenden Auffassung das Berufungsurteil von der Beantwortung der vorgelegten Rechtsfrage abhängt.
III.
In der Sache ist die Frage, Wie aus dem Entscheidungssatz ersichtlich, zu beantworten.
1. Die Vorschrift des § 564 b BGB bezweckt den Schutz des Mieters vor sozial nicht gerechtfertigter Kündigung seiner Wohnung. Sie normiert daher als Voraussetzung jeder ordentlichen Kündigung – von einzelnen besonders geregelten Ausnahmefällen abgesehen – ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses. Dessen Bedarf für sich, einen Familienangehörigen oder eine zu seinem Hausstand gehörende Person stellt lediglich ein in Abs. 2 Nr. 2 der Bestimmung ausdrücklich genanntes Beispiel eines solchen berechtigten Interesses dar. Daraus ergibt sich einerseits, daß Eigenbedarf trotz des vom Gesetz gewählten Wortes „benötigt” kein besonders dringendes Interesse an der Rückgabe der Räume erfordert, vielmehr jedes vernünftige, billigenswerte Erlangungsinteresse genügt (BayObLG, Rechtsentscheid vom 2.3.1982, NJW 1982, 1159; OLG Karlsruhe WuM 1976, 99; LG München ZMR 1974, 49; LG Karlsruhe WuM 1974, 261; Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumkündigungsschutzgesetze, 4. Aufl., B 480; Köhler, Handbuch der Wohnraummiete, § 115 Rn. 8; Barthelmess, Wohnraumkündigungsschutzgesetz, 2. Aufl., § 564 b Rn. 67; Palandt, BGB, 41. Aufl., § 564 b Anm. 7 a cc; RGRK-BGB, 12. Aufl...