Entscheidungsstichwort (Thema)

Anforderungen an einen Freispruch aus tatsächlichen Gründen. Sexueller Missbrauchs unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses. Vom Opfer ausgehende Initiative bei Liebesbeziehung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Bei einem Freispruch aus tatsächlichen Gründen muss der Tatrichter im Anschluss an die Darlegung, welche Anklagevorwürfe dem Angeklagten gemacht werden, grundsätzlich zunächst in einer geschlossenen Darstellung diejenigen Tatsachen feststellen, die er in Bezug auf den gegen den Angeklagten erhobenen Schuldvorwurf für erwiesen erachtet, bevor er in einer Beweiswürdigung, der regelmäßig eine geschlossene Darstellung der Einlassung des Angeklagten voranzugehen hat, darlegt, aus welchen Gründen die für einen Schuldvorwurf erforderlichen - zusätzlichen - Feststellungen nicht getroffen werden können

2. a) Missbrauch i. S. des § 174c Abs. 1 StGB ist dann gegeben, wenn ein innerer Zusammenhang zwischen dem Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnis einerseits und der Anbahnung oder Durchführung der sexuellen Handlungen andererseits besteht, das heißt der Täter die Gelegenheit, die seine Vertrauensposition bietet, unter Verletzung der damit verbundenen Pflichten zu sexuellen Handlungen ausnutzt.

b) Für die Annahme des Missbrauchs ist es nicht notwendig, dass zwischen dem Täter und dem Opfer ein Abhängigkeitsverhältnis besteht oder dass der Täter gerade eine krankheitsbedingte Bedürftigkeit oder Hilflosigkeit des Opfers ausgenutzt hat. Während der Gesetzgeber an anderer Stelle (§§174 Abs. 1 Nr. 2, 174b Abs. 1 StGB) die Abhängigkeit des Opfers vom Täter als Tatbestandsmerkmal ausdrücklich niedergelegt hat, fordert der Wortlaut des § 174c Abs. 1 StGB eine Abhängigkeit gerade nicht. Dem Missbrauch steht darüber hinaus nicht entgegen, dass das Opfer den sexuellen Handlungen zugestimmt hat. Selbst wenn die Initiative zu den sexuellen Handlungen vom Opfer ausgeht, ist die Tatbestandsmäßigkeit nicht ausgeschlossen. Die sexuellen Handlungen müssen auch nicht im Rahmen konkreter Behandlungs- oder ähnlicher Termine vorgenommen werden.

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Entscheidung vom 28.02.2008; Aktenzeichen 5 Ns 21 Js 9280/07)

 

Tenor

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts K. vom 28. Februar 2008 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts K. zurückverwiesen.

 

Gründe

I. Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft K. vom 16.07.2007 wurde dem Angeklagten zur Last gelegt, er habe in der Zeit vom 10.06. bis 16.09.2006 während seiner Tätigkeit als Pfleger im Zentrum für Psychiatrie R.. in fünfzehn näher bezeichneten Einzelfällen mit der dort stationär aufgrund eines multiplen Krankheitsbildes als Patientin aufgenommenen Nebenklägerin den Geschlechtsverkehr ausgeübt. Dabei sei ihm bewusst gewesen, dass die Geschädigte die sexuellen Handlungen nur aufgrund des angeblich von dem Angeklagten gezeigten Interesses für ihr Krankheitsbild und seiner Stellung als Pfleger zugelassen habe. Das Amtsgericht K. sprach den Angeklagten mit Urteil vom 06.11.2007 von diesen Vorwürfen frei. Die Berufung der Nebenklägerin verwarf das Landgericht K. mit Urteil vom 28.02.2008.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision der Nebenklägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.

Das Rechtsmittel der Nebenklägerin hat vorläufigen Erfolg.

II. Nach den Feststellungen der Strafkammer war der Angeklagte seit ca. 30 Jahren als Pfleger im ZfP R.. tätig. Dort arbeitete er im Jahre 2006 auf der Station 26, einer Rehastation, wo Patienten nach dem Aufenthalt auf einer Akutstation weiterbehandelt werden. Auch war der Angeklagte als Pfleger für Patienten tätig, die vor Behandlungsende und Entlassung aus dem ZfP mehr oder weniger selbständig in einer Wohngruppe im Dachgeschoss des selben Gebäudes wohnten. Er hatte die Fachpflegerausbildung.

Die Nebenklägerin, welche unter anderem an einem Borderlinesyndrom leidet, wurde am 01.05.2006 nach einem Suizidversuch aufgrund einer Beziehungskrise in eine Akutstation des ZfP R.. eingeliefert. Später kam sie auf die Reha-Station 26 und wechselte am 27.06.2006 in die Wohngruppe im Dachgeschoss desselben Gebäudes. Der Angeklagte wusste von dem Suizidversuch der Nebenklägerin aufgrund von ausgetauschten Informationen beim Schichtwechsel. Einblick in die konkrete Krankenakte hatte er jedoch nicht.

Der Angeklagte fühlte sich von der attraktiven Nebenklägerin angezogen. Man kam sich näher, so auch auf Ausflügen, die vom Angeklagten organisiert wurden.

Nachdem man sich zweimal im einem Cafe in K. getroffen hatte, kam es dann an einem Wochenende in der Wohnung des Angeklagten zu Zärtlichkeiten und zum ersten Geschlechtsverkehr. Dies wiederholte sich ca. 12 Mal jeweils an den Wochenenden. Gegenüber dem Angeklagten war die Nebenklägerin aufgeschlossen und offen und machte auch keinen direkt kranken Eindruck. Sie sagte i...

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