Entscheidungsstichwort (Thema)
Delegation der Räum- und Streupflicht auf den Hausmeister einer Wohnungseigentümergemeinschaft
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Wohnungseigentümergemeinschaft kann ihre Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege auf einen Hausmeister delegieren, so dass bei einer Verletzung der Streupflicht der Hausmeister - und nicht die übertragende WEG - haftet.
2. Nach einer Delegation der Räum- und Streupflicht auf einen Hausmeisterdienst verbleibt der WEG als Grundstückseigentümerin eine Überwachungs- und Kontrollpflicht. Bei der Übertragung des Räum- und Streudienstes auf einen professionellen Hausmeisterdienst darf sich die WEG im Allgemeinen auf eine Erfüllung der Pflichten verlassen, und muss nicht ohne Anlass alle Einzelheiten der Tätigkeit des Hausmeisters kontrollieren.
3. Beim Sturz einer Fußgängerin auf Glatteis können für eine Haftung des Verkehrssicherungspflichtigen die Regeln des Anscheinsbeweises Anwendung finden. Dies gilt jedoch nur für die Verletzung der Räum- und Streupflicht als solcher, jedoch nicht für die Verletzung einer Überwachungs- und Kontrollpflicht.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Aktenzeichen 2 O 206/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 18.01.2019 - 2 O 206/18 - aufgehoben.
2. Die Klage wird abgewiesen.
3. Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen, einschließlich der Kosten der Streithelferin, trägt die Klägerin.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin macht nach einem Sturz auf Glatteis Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte geltend.
Am 24.01.2017 gegen 15:00 Uhr benutzte die Klägerin als Fußgängerin die Kirchplatzpassage in E.. Die Klägerin stürzte auf Schnee- oder Eisglätte und zog sich Verletzungen zu, deren Umfang und Auswirkungen streitig sind. Im Bereich der Unfallstelle befindet sich der von der Klägerin benutzte Weg im Gemeinschaftseigentum der Beklagten, einer Wohnungseigentümergemeinschaft. In diesem Bereich ist der geteerte Weg auch für Kraftfahrzeuge benutzbar, und dient gleichzeitig als Zufahrt zur Tiefgarage der Beklagten. Mit einer Satzung aus dem Jahr 1989 hat die Stadt E. die Räum- und Streupflicht für öffentlich zugängliche Wege, zu denen auch die Kirchplatzpassage und die von der Klägerin benutzte Zufahrt zählen, den Straßenanliegern auferlegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Satzung in der Anlage K 8 verwiesen.
Die Beklagte hatte bereits seit 1997 sämtliche üblichen Hausmeisterleistungen für die Wohnungseigentümergemeinschaft dem Streithelfer übertragen, der einen Hausmeisterdienst unterhält. Die Aufgaben und Verpflichtungen des Streithelfers sind im schriftlichen Hausmeister-Vertrag (Anlage StV 1 und StV 2) im Einzelnen geregelt. Im Abschnitt "Winterdienst" in diesem Vertrag ist zu den Aufgaben des Streithelfers u. a. festgehalten:
- Schnee- und Eisräumen in notwendigem Umfang auf den unter Benützung stehenden Verkehrsflächen.
- Schnee- und Eisräumung auf öffentlichen Gehwegen, soweit der Hauseigentümer im Rahmen der gemeindlichen Verordnung zur Räumung verpflichtet ist (gemäß Ortspolizeiverordnung).
- Streudienst auf Verkehrsflächen zur Vermeidung von Schnee- und Eisglätte.
Der Streithelfer ließ den Winterdienst für die Beklagte in der Vergangenheit durch einen Mitarbeiter, den Zeugen W., ausführen.
Die Klägerin hat vorgetragen: Bei dem Sturz am 24.01.2017 habe sie sich eine komplizierte Verletzung am rechten Handgelenk zugezogen. Auch nach zwei Operationen sei ein Dauerschaden verblieben, die Beweglichkeit der rechten Hand sei schmerzhaft eingeschränkt. Die Unfallversicherung der Klägerin gehe von einem Invaliditätsgrad des rechten Armes aufgrund dieser Verletzung von 70 % aus.
Für den Sturz und die Verletzungsfolgen sei die Beklagte verantwortlich. Denn ihr habe für den Bereich der Unfallstelle die Räum- und Streupflicht oblegen. Zu dem Sturz sei es nur deshalb gekommen, weil die Beklagte am Unfalltag ihrer Räum- und Streupflicht nicht nachgekommen sei. Es habe eine allgemeine Glättebildung geherrscht, so dass die Beklagte dafür hätte sorgen müssen, dass die Kirchplatzpassage in E. für Fußgänger ohne Sturzgefahr begehbar gewesen wäre. Die Klägerin hat materielle Schadensersatzansprüche in Höhe von 3.195,85 EUR nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten geltend gemacht. Außerdem hat die Klägerin mit einem unbezifferten Antrag Schmerzensgeld verlangt, welches nach ihren Vorstellungen mindestens 5.000,00 EUR betragen sollte.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat mit Nichtwissen bestritten, dass am Unfalltag eine allgemeine Glättebildung als Voraussetzung für eine Streupflicht geherrscht habe. Dennoch sei der Hausmeister- und Reinigungsdienst des Streithelfers am Unfalltag einer möglichen Räum- und Streupflicht ordnungsgemäß nachgekommen. Der Zeuge W. habe im Auftrag des Streithelfers die Unfallstelle schon morgens vor 07:00 Uhr einw...