Leitsatz (amtlich)
1. Bei einem Erwerb von Zertifikaten im Fernabsatz, die - wenn auch erst zu einem späteren Zeitpunkt - an einer Börse gehandelt werden oder denen Börsenindizes als Basiswert zugrunde liegen, ist das Widerrufsrecht nach den Bestimmungen über Fernabsatzverträge gem. § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB ausgeschlossen (Bestätigung des Senatsurteils vom 13.9.2011 - 17 U 104/10, ZIP 2011, 2051 = WM 2012, 213).
2. Beruft sich der Anleger hinsichtlich einer Aufklärungspflichtverletzung des Bank-beraters, um dem Verjährungseinwand nach § 37a WpHG a.F. zu entgehen, auf ein vorsätzliches Verschulden des Mitarbeiters oder eines Vorstandsmitglieds, so trifft die Bank die Beweislast für das Nichtvorliegen des Vorsatzes (wie BGH, WM 2009, 1274), jedoch bedarf es zunächst einer auf ein konkretes Verhalten bezogenen substantiierten Behauptung des Anlegers, die Bank habe eine Aufklärung in Kenntnis ihrer Aufklärungspflicht vorsätzlich unterlassen.
Verfahrensgang
LG Heidelberg (Urteil vom 29.03.2011; Aktenzeichen 2 O 338/10) |
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Heidelberg vom 29.3.2011 - 2 O 338/10 - wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszugs.
3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des LG sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird - soweit die Klage auf den Gesichtspunkt des Widerrufs der Vertragserklärung der Klägerin nach dem Fernabsatzgesetz gestützt ist - zugelassen.
5. Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 6.002,75 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin nimmt die beklagte Bank als Rechtsnachfolgerin der R-Bank (im Folgenden ohne weitere Unterscheidung ebenfalls als Beklagte bezeichnet) unter dem Gesichtspunkt des vorsätzlichen Verschweigens von Rückvergütungen und wegen fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb von Zertifikaten der Emittentin Lehman Brothers auf Schadensersatz in Anspruch. Ferner begehrt sie nach Widerruf ihrer Vertragserklärung Rückabwicklung des Wertpapiergeschäfts nach dem Fernabsatzgesetz.
Die damals 81 Jahre alte Klägerin, eine langjährige Kundin der Beklagten, erwarb auf deren Empfehlung in einem telefonischen Beratungsgespräch, das die Mitarbeiterin W mit der Klägerin führte, am 7.2.2007 6 Stück Global Champion Zertifikate der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co. B. V. (im Folgenden kurz Lehman-Zertifikate) zum Stückpreis von 1.008,53 EUR, mithin für insgesamt 6.051,18 EUR (Abrechnungsschreiben der R-Bank vom 7.2.2007, Anlage K 1). Es handelt sich um ein sog. Bonus-Express-Zertifikat, das mit einem Risikopuffer von 40 % und einem Bonusbetrag von 8,75 % ausgestattet war, und bei dem unter bestimmten Voraussetzungen eine vorzeitige Rückzahlung vor Ablauf der vereinbarten Laufzeit von rund drei Jahren an bestimmten Beobachtungstagen in Betracht kam. Als Basiswerte des Zertifikats waren drei Aktienindizes festgelegt (Dow Jones EuroSTOXX 50, Standard & Poor's 500 und Nikkei 225). Die Risikoschwelle der Zertifikate lag bei 60 % des Startkurses der drei Basiswerte. Der Anleger sollte - neben einem Bonus i.H.v. 8,75 % p. a. - am Endfälligkeitstag (im konkreten Fall am 13.5.2010) den Nominalbetrag des Zertifikats zurückerhalten, wenn keiner der drei Indizes 40 % oder mehr unter den jeweiligen Startkurs fällt. Berührte einer der Basiswertkurse während des Beobachtungszeitraums die Risikoschwelle oder fiel er darunter ab, so würden alle künftigen Bonuszahlungen entfallen. Ferner würde sich in diesem Fall der Rückkaufswert nach demjenigen Index richten, der während der Laufzeit die Risikoschwelle am tiefsten unterschritten hat (nicht nach dem Index, der am Laufzeitende am tiefsten steht). Bei dem telefonisch geführten Beratungsgespräch wurde nicht über Rückvergütungen oder den von der Bank mit dem Geschäft erzielten Gewinn gesprochen. Die Klägerin erwarb die Lehman-Zertifikate und veräußerte dafür die in ihrem Depot verwahrten Anteile an dem Aktienfonds Allianz RCM Wachstum Euroland A Fonds (WKN 978 984).
Am 13.5.2008 erhielt die Klägerin die erste prospektierte Bonuszahlung auf die streit-gegenständlichen Lehman-Zertifikate i.H.v. 525 EUR. Seit der Insolvenz des Bankhauses Lehman Brothers ist der Handel mit den streitgegenständlichen Zertifikaten ausgesetzt, weshalb die Klägerin von einem Verlust der Anlage ausgeht.
Mit der am 28.9.2010 per Fax beim LG eingereichten Klage hat die Klägerin im Wege des Schadensersatzes - unter Einschluss eines entgangenen Gewinns von 476,57 EUR (bezogen auf den Anlagezeitraum von 39 Monaten und errechnet mit einem Zinssatz von 2,36 %) und Anrechnung der erhaltenen Ausschüttung von 525 EUR - zuletzt Zahlung von 6.002,75 EUR nebst Zinsen und außergerichtlichen Kosten von der Beklagten verlangt Zug um Zug ge...