Leitsatz (amtlich)
1. Die auch bei einem Anspruch auf Löschung von Suchergebnissen gegen einen Internet-Suchmaschinenbetreiber aus Art. 17 DS-GVO ("Recht auf Vergessenwerden") erforderliche umfassende Interessenabwägung richtet sich nach eigenen Maßstäben; die zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (§§ 823, 1004 BGB) entwickelten Grundsätze können nicht ohne weiteres übertragen werden.
2. Dabei ist zu berücksichtigen, welche Ansprüche und Durchsetzungsmöglichkeiten der Betroffene gegen den Inhalteanbieter hat. Ansprüche gegen den Inhalteanbieter und gegen den Suchmaschinenbetreiber sind nicht generell vor- oder nachrangig, sondern stehen in Wechselwirkung. Nach den Umständen des Einzelfalles kann sich daraus ein Vorrang des einen oder des anderen Anspruches ergeben.
3. Ist der Inhalteanbieter im Inland greifbar und kann er rechtlich belangt werden, beseitigt das Vorgehen gegen den (einzigen) Inhalteanbieter die Störung effektiver als das Vorgehen gegen einen (von mehreren) Suchmaschinenbetreibern. In einer solchen Konstellation ist der Anspruch gegen den Suchmaschinenbetreiber nur begründet, wenn die Rechtswidrigkeit offensichtlich ist.
4. Zu der Frage, ob die Unterdrückung von Suchergebnissen ("De-Listing") gegen den Suchmaschinenbetreiber in Form eines Unterlassungsantrags auf den Löschungsanspruch nach Art. 17 DS-GVO gestützt werden kann.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.11.2018, Az. 21 O 84/17, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Entfernung eines Links aus der Ergebnisliste der von der Beklagten betriebenen Internet-Suchmaschine.
Die Beklagte betreibt die Internet-Suchmaschine [b].de. Bei Eingabe des Vor- und Nachnamens des Klägers erscheint dort ein Link zu einem Artikel, der am [Datum] im Magazin "[M]" erschienen und im Online-Archiv auf der Webseite des Magazins nach wie vor veröffentlicht ist. Der Titel des Artikels lautet "[Titel]".
Hintergrund des [M]-Artikels sind Straftaten aus dem Jahr 1988. Der Kläger war 1988 zunächst wegen Raubmordes an [O] angeklagt. Am [Datum] 1988 wurde er freigesprochen, weil seine Täterschaft nicht nachgewiesen werden konnte, und am selben Tag aus der Untersuchungshaft entlassen. Am [Datum] 1988 überfiel und ermordete der Kläger gemeinsam mit einem weiteren Täter drei Menschen. Wegen dieser Taten wurde der Kläger zu lebenslanger Haft verurteilt. Am 23.11.2014 wurde der Kläger aus der Haft entlassen. Die zur Bewährung ausgesetzte Reststrafe wurde inzwischen erlassen.
Der vom Kläger beanstandete Artikel handelt von der grundsätzlichen Problematik, dass Täter, denen ein Verbrechen nicht nachgewiesen werden kann, freigesprochen werden und dann gegebenenfalls sofort das nächste Verbrechen begehen. Er befasst sich im Wesentlichen mit der Verzweiflung der Richter sowie der Angehörigen der Opfer in einem solchen Fall. Hierbei werden auch die Hintergründe der Tatvorwürfe gegen den Kläger in Bezug auf den Tod von [O] thematisiert. Weiter enthält der Artikel Ausführungen zu der am [Datum] 1988 durch den Kläger begangenen Tat und zu seiner Biographie. Wegen der weiteren Einzelheiten des Artikels wird auf den als Anlage K3 vorgelegten Ausdruck verwiesen.
Neben dem Link auf den beanstandeten Artikel erscheinen in der Suchmaschine bei Eingabe des Namens "[K]" verschiedene Ergebnisse zu anderen Personen, etwa einem Rosenzüchter, einem Ruderer, einem Baseballspieler und einem Professor.
Unter dem 05.07.2016 stellte der Kläger über das Webformular der Beklagten einen Antrag auf Löschung des Links aus den Suchergebnissen. Dies lehnte die Beklagte mit Email vom 18.07.2016 ab (Anlage K5).
Der Kläger verfolgt das Klageziel, dass der "[M]"-Artikel bei einer Suche nach seinem Namen in der Ergebnisliste der Suchmaschine nicht mehr angezeigt wird.
Er hat vorgetragen, der beanstandete Link erscheine stets an vierter Stelle der Suchliste. Er hat die Ansicht vertreten, ihm stehe nach § 823 Abs. 1, Abs. 2, 1004 BGG in Verbindung mit seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ein Anspruch auf Löschung zu. Er könne sich auch auf datenschutzrechtliche Vorschriften, insbesondere § 35 BDSG n.F. und die europarechtlichen Grundsätze zum "Recht auf Vergessen" nach Art. 17 der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) berufen. Bei der gebotenen Interessenabwägung überwiege seine Grundrechtsposition das Interesse der Beklagten. Der Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht wiege schwer, weil der Artikel nicht nur die wahren Tatumstände beschreibe, sondern auch das grausame, brutale und rücksichtslose Vorgehen des Klägers und die Folgen für die Opfer herausstelle. Zudem nähre die Darstellung den Ver...