Entscheidungsstichwort (Thema)

Aufgabe der Rechtsprechung zur Verwirkung bei abgelöstem Verbraucherdarlehen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Mai 2017, 17 U 81/16; Urteile vom 9. Januar 201, 17 U 219/15 und 17 U 183/16)

 

Leitsatz (amtlich)

Dem Umstand, dass der Darlehensnehmer die vorzeitige Vertragsbeendigung gewünscht hat, misst der Senat im Rahmen der gebotenen Würdigung des Einzelfalles maßgebliches Gewicht bei, sodass die Tatsache, dass der Darlehensnehmer vom Bestehen seines Widerrufsrechts keine Kenntnis hatte und der Darlehensgeber diese Kenntnis auch nicht unterstellen durfte, das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment nicht ausschließt.

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 23. August 2017 in der Fassung des Beschlusses vom 4. Oktober 2017 - 2 O 488/16 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Kläger.

3. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis 35.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten über die Wirksamkeit des Widerrufs eines Verbraucherdarlehensvertrages.

Die Kläger und die beklagte Bank schlossen im Juli 2003 zur Finanzierung des Erwerbs einer Eigentumswohnung durch die Kläger einen grundschuldgesicherten Verbraucherdarlehensvertrag (Anlage K 1) über einen Nennbetrag von 103.000 EUR mit einem bis 1. August 2013 fest vereinbarten jährlichen Nominalzinssatz von 4,70 % und einem anfänglichen effektiven Jahreszins von 4,82 %. Während das Darlehen in voller Höhe am 1. August 2013 getilgt werden sollte, sollten die Zinsen vierteljährlich am Ende eines jeden Kalendervierteljahres entrichtet werden.

Dem Darlehensvertrag war eine formularmäßige Widerrufsbelehrung beigefügt, die auszugsweise wie folgt lautet:

"Widerrufsrecht

Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Sofern Sie nicht taggleich mit dem Vertragsabschluss über Ihr Widerspruchsrecht belehrt worden sind, beträgt die Frist einen Monat. Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung in Textform. (...)"

Nach Valutierung des Darlehens erbrachten die Kläger die vertraglich geschuldeten Zinsen.

Im Februar 2010 teilten die Kläger der Beklagten mit, dass sie das Darlehen zum 1. Juni 2010 zurückzahlen wollten, weil sie die finanzierte Eigentumswohnung veräußerten. Mit Schreiben vom 23. Februar 2010 (Anlage B 1) wies die Beklagte darauf hin, dass eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens im Falle des Verkaufs des zur Besicherung zur Verfügung gestellten Beleihungsobjekts gegen Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung möglich sei. Nach dem Verkauf der besicherten Wohnung und nach vollständiger Ablösung des Darlehens zum 1. Juli 2010 belastete die Beklagte dem klägerischen Konto eine Vorfälligkeitsentschädigung von 8.276,53 EUR. Im Anschluss gab die Beklagte die für das Darlehen zur Verfügung gestellten Sicherheiten frei.

Mit der Beklagten am 15. Juni 2016 zugegangenem Schreiben (Anlage K 2) erklärte der Kläger Ziff. 2 den Widerruf seiner o.g. Vertragserklärung und forderte die Beklagte auf, bis 29. Juni 2016 Auskunft über die von der Beklagten gezogenen Nutzungen zu erteilen und über die gegenseitigen Rückgewähransprüche abzurechnen. Die Beklagte wies den Widerruf mit Schreiben vom 24. Juni 2016 (Anlage K 3) wegen Verwirkung des Rechts zum Widerruf zurück.

Die Kläger halten die Widerrufsbelehrung für unwirksam und meinen, der Darlehensvertrag habe sich durch die Widerrufserklärung in ein Rückabwicklungsschuldverhältnis gewandelt. Sie haben erstinstanzlich zuletzt die Rückzahlung der von ihnen geleisteten Zahlungen in Höhe von 143.761,40 EUR (wegen der genauen Zusammensetzung des Betrages vgl. Schriftsatz vom 28. Juni 2017, dort S. 3 = I 131) nebst näher dargelegter Zinsen Zug um Zug gegen Rückzahlung des Nettokreditbetrages von 102.691 EUR nebst Zinsen (Antrag Ziff. 1) sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 3.371,03 EUR (Antrag Ziff. 2) geltend gemacht.

Die Beklagte hat erstinstanzlich u.a. geltend gemacht, das klägerische Widerrufsrecht sei zum Zeitpunkt des Widerrufs verwirkt gewesen. Sie habe sich nach Ablösung des Darlehens darauf eingestellt, dass das Darlehensverhältnis endgültig abgewickelt sei und habe deshalb die Sicherheiten freigegeben. Für den Fall der Wirksamkeit des Widerrufs hat sie gegen den klägerischen Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Tilgungszahlungen aufgerechnet mit ihrem Anspruch auf Rückzahlung der Nettodarlehensvaluta sowie gegen den klägerischen Anspruch auf Rückzahlung der erbrachten Zinszah...

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