Leitsatz (amtlich)
1. Sieht bei einem Tarifwechsel in der privaten Krankenversicherung der Zieltarif einen geringeren Selbstbehalt als der Ausgangstarif vor, so handelt es sich unabhängig von den übrigen Tarifmerkmalen um eine partielle Mehrleistung im Sinne des § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VVG.
2. Zu den aus dem Vertrag erworbenen Rechten nach § 204 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Halbsatz 2 VVG gehört auch die Bewertung des Gesundheitszustandes, wie sie der Versicherer bei Abschluss des Vertrages im Herkunftstarif vorgenommen hat.
3. Sieht der Zieltarif die Erhebung eines Risikozuschlags vor, ist Grundlage der Risikoeinstufung stets der Gesundheitszustand zum Zeitpunkt des (erstmaligen) Abschlusses des Versicherungsvertrags. Der Versicherer ist insoweit nicht berechtigt, nach dem ursprünglichen Versicherungsbeginn eingetretene oder festgestellte Umstände zu berücksichtigen.
Normenkette
VVG §§ 5, 204 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 02.06.2015; Aktenzeichen 1 O 159/13) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Berechtigung der Beklagten zur Erhebung von Risikozuschlägen bei einem Tarifwechsel in der privaten Krankenversicherung.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit 1983 unter der Versicherungsnummer (...) einen privaten Krankenversicherungsvertrag. 1993 wurde die Ehefrau des Klägers als weitere versicherte Person aufgenommen. Bis zum 31.12.2011 waren der Kläger und seine Ehefrau im Tarif G. versichert. Dieser sah eine kalenderjährliche Selbstbeteiligung in Höhe von 1.404,00 EUR vor. Risikozuschläge waren nicht vereinbart. Im Dezember wünschte der Kläger für sich und seine Ehefrau einen anderen Tarif bei der Beklagten. Die Beklagte schlug ihm mit Schreiben vom 09.12.2011 den Tarif M. 500 mit einer jährlichen Selbstbeteiligung in Höhe von 500,00 EUR vor. Die monatliche Prämie für diesen Tarif sollte 277,22 EUR für den Kläger und 402,01 EUR für seine Ehefrau betragen. Die Beklagte wies auf die Erforderlichkeit einer Gesundheitsprüfung hin. Der Änderungsantrag wurde am 10.01.2012 von dem für den Kläger zuständigen Versicherungsvermittler ausgefüllt, vom Kläger und seiner Ehefrau unterzeichnet und bei der Beklagten eingereicht. In der Rubrik "Wagnisausgleich" befand sich kein Eintrag.
Mit Nachtrag vom Versicherungsschein vom 08.02.2012 wurde der Tarif rückwirkend zum 01.01.2012 umgestellt. Die ausgewiesene Gesamtprämie entsprach dabei den im Schreiben vom 09.12.2011 und im Änderungsantrag vom 10.01.2012 genannten Beträgen, wobei für den Kläger und seine Ehefrau jeweils ein medizinscher Wagniszuschlag in Höhe von monatlich 75,33 EUR aufgeführt war.
Der Kläger begehrte erstmals mit Schreiben vom 10.02.2012 die Streichung des Risikozuschlags. Nach weiterer Korrespondenz stelle die Beklagte am 08.08.2012 einen geänderten Nachtrag zum Versicherungsschein aus, der weiterhin einen monatlichen Wagnisausgleich in Höhe von je 75,33 EUR vorsah. Unter den besonderen Vereinbarungen heißt es hierzu:
"O Versicherte Person 00: In dem Versicherungsschutz nach Tarif M. 500 wird ein medizinsicher Wagnisausgleich von 75,33 EUR erhoben. Dieser bezieht sich auf: Prostataerkrankung, Osteoporose, Verschleißerkrankungen der Gelenke (Arthrose), Erkrankungen und Veränderungen des Rückens und der Wirbelsäule.
O Versicherte Person 04: In dem Versicherungsschutz nach Tarif M. 500 wird ein medizinsicher Wagnisausgleich von 75,33 EUR erhoben. Dieser bezieht sich auf: Fettstoffwechselstörungen, Beinvenenerkrankungen."
Die "versicherte Person 00" bezeichnet dabei den Kläger, die "versicherte Person 04" seine Ehefrau.
Der Kläger hat erstinstanzlich geltend gemacht, die Beklagte sei bereits aus Rechtsgründen nicht berechtigt gewesen, eine erneute Gesundheitsprüfung vorzunehmen. Durch den Tarifwechsel sei es nicht zu Mehrleistungen des Versicherers gekommen. Vielmehr sei der vereinbarte Leistungsumfang im neuen Tarif geringer. Selbst wenn im Hinblick auf den geringeren Selbstbehalt im neuen Tarif eine partielle Mehrleistung vorliegen sollte, wäre die Beklagte an einer erneuten Gesundheitsprüfung nach § 204 Abs. 1 Satz 1 VVG gehindert. Einen Risikozuschlag im neuen Tarif könnte die Beklagte allenfalls im Hinblick auf die beim ursprünglichen Vertragsabschluss vorhandenen Erkrankungen geltend machen. Die ursprüngliche Risikoeinstufung dürfe bei einem Tarifwechsel nicht zu Lasten des Versicherungsnehmers geändert werden. Er hat weiterhin vorgetragen, dass die Erkrankungen, auf die die Erhebungen des Wagnisausgleichs gestützt würden, bei ihm und seiner Ehefrau nicht vorlägen. Der Tarifwechsel sei daher ohne den Wagnisausgleich zustande gekommen; die überzahlten Beträge seien von der Beklagten zurück zu gewähren.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt:
1. Es wird festgestellt, dass der Monatsbeitrag für den Tarif M. 500 des privaten Krankenversicherungsvertrags unter der Versicherungsnummer (...) des Klägers mit der Beklagten für den Versicherten Dr. F. W. ohne Wagnisausgleichszuschl...