Leitsatz (amtlich)
In der Reise- und Warenlagerversicherung wird mit der Klausel "Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen." die Leistungsfreiheit nach § 61 VVG nicht auf Fälle einfacher Fahrlässigkeit ausgedehnt (entgegen BGH VersR 1972, 85).
Normenkette
VVG § 61; BGB §§ 305c, 307
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 01.03.2007; Aktenzeichen 15 O 82/06 KfH IV) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Karlsruhe - IV. Kammer für Handelssachen Sitz Pforzheim - vom 1.3.2007 - 15 O 82/06 KfH IV - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 84.835,20 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin ¼ und die Beklagte ¾.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
Die Klägerin begehrt Deckung aus einer Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung.
Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand im Dezember 2005 zur Versicherungsscheinnummer GTR 60/0782/0621323 eine Transport-, Reise- und Warenlagerversicherung, an der die Beklagte neben der A - Versicherungs-AG zu 80 % "als Einzelschuldner" beteiligt war. In der Reiselagerversicherung entsprach der Versicherungswert dem Verkaufspreis abzgl. von 20 %. In den Vertrag einbezogen waren u.a. folgende Allgemeine Vertragsbedingungen (B 1):
"(...) 4. Reiselagerversicherung (...)
4.2 Versicherte Gefahren und Schäden
4.2.1 Es besteht Versicherungsschutz für alle Verluste und Beschädigungen der versicherten Waren während der Mitführung auf Geschäftsreisen und Geschäftsbesuchen (...), soweit sie nicht ausdrücklich in den nachfolgenden Bestimmungen von der Versicherung ausgeschlossen sind. (...)
4.3 Nicht versicherte Gefahren und Schäden
Ausgeschlossen von der Versicherung sind alle Schäden und Verluste, entstanden durch:
4.3.1 Krieg, Bürgerkrieg (...)
4.4 Versicherungs-, Entschädigungswerte und Maxima (...)
4.5 Aufbewahrungsvorschriften
Voraussetzung für den Versicherungsschutz ist, dass
4.5.1 die versicherte Ware unter Aufsicht des Reiselagerbegleiters ist (...)
7. Allgemeine vertragliche Bestimmungen
7.1 Allgemeine Pflichten
Der Versicherungsnehmer hat bei allen Handlungen die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns des Edelstein-, Schmuck- und Uhrengewerbes wahrzunehmen.
7.2 Aufbewahrung der versicherten Sachen und Sicherungseinrichtungen (...)
7.5 Bestimmungen für den Schadensfall (...)
7.5.3 Bei jedem Schadensfall, der eine strafrechtliche Verfolgung nach sich ziehen kann (z.B. Diebstahl, Einbruchdiebstahl, Beraubung, Unfälle), ist (bei Verkaufsverhandlungen nach Möglichkeit und sofern zumutbar) der zuständigen Polizeibehörde Anzeige zu erstatten und die Aufnahme des Tatbestandes zu beantragen. (...)
7.8 Obliegenheitsverletzungen (...)
7.8.2 Abweichend von § 6 Abs. 1 Satz 3 VVG bleibt der Versicherer wegen Verletzung einer vor Eintritt des Versicherungsfalles zu erfüllenden Obliegenheit auch dann leistungsfrei, wenn er von seinem Kündigungsrecht keinen Gebrauch macht. (...)
7.11 Vertragsgrundlagen
Soweit in diesen Geschriebenen Vereinbarungen nichts anderes bestimmt ist, gelten die folgenden beigefügten Tarife, Bedingungen und Klauseln: (...)
e) Merkblatt für Reisebegleiter; (...)"
Im "Merkblatt für Reiselagerbegleiter des Schmuckwaren-, Uhren- und Bijouterie-Gewerbes" wird angeführt:
"(...) 3.4 Der nächstgelegenen Polizeibehörde sind außerdem unverzüglich anzuzeigen
3.4.1 Schäden durch Feuer, Einbruchdiebstahl, Diebstahl, Beraubung, räuberische Erpressung oder Transportmittelunfall; (...)"
Am 6.12.2005 reiste der Geschäftsführer der Komplementärin der Klägerin, Matthias K., auf die Karibikinsel Sankt Maarten, um dort örtlichen Schmuckhändlern Schmuck zu verkaufen. Nachdem er verschiedene Schmuckhändler aufgesucht hatte, begab er sich am 7.12.2005 gegen 18.00 Uhr zur AVIS-Rückgabestation bei dem Flughafen der Insel, einem zur Straßenseite hin geschlossenen und mit einer Glasfront versehenen Geschäftslokal, um dort seinen Mietwagen zurückzugeben und anschließend weiterzufliegen. Dabei führte er eine alte Ledertasche mit sich, die er - am Geschäftstresen wartend - neben sich auf den Boden stellte. Als ihn eine Angestellte der AVIS-Rückgabestation um Unterschriften bat, beugte er sich vor, um zu unterschreiben. Unmittelbar danach stellte er fest, dass die Tasche verschwunden war. Die Tasche konnte nicht mehr aufgefunden werden.
Der Geschäftsführer M. K. verschaffte sich nach dem Verlust der Tasche bei der Zollabfertigung Kopien des abgefertigten Carnet-Einfuhrblatts. Anschließend erstattete er gegen 20.40 Uhr An...