Leitsatz (amtlich)

Gegen einen Anspruch auf Entschädigung wegen menschenunwürdiger Unterbringung eines Gefangenen kann nicht mit den offenen Gerichtskosten des Strafverfahrens aufgerechnet werden.

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Entscheidung vom 19.02.2008; Aktenzeichen 2 O 559/06)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 01.10.2009; Aktenzeichen III ZR 18/09)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.02.2008 - 2 O 559/06 - im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen wie folgt abgeändert:

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger EUR 3.000,00 nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.04.2007 zu bezahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Anschlussberufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 19.02.2008 - 2 O 559/06 - wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger 25 % und das beklagte Land 75 %.

4. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt das beklagte Land.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

6. Die Revision wird zugelassen hinsichtlich der vom beklagten Land erklärten Aufrechnung.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt vom beklagten Land eine immaterielle Entschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen. Das beklagte Land bestreitet die tatsächlichen Grundlagen des Anspruchs und rechnet hilfsweise mit den offenen Kosten des Strafverfahrens auf. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dem Kläger sei zwar ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 3.000 EUR erwachsen; dieser sei jedoch durch die erklärte Aufrechnung erloschen.

 

Entscheidungsgründe

I.

Der Kläger verlangt vom beklagten Land eine immaterielle Entschädigung wegen menschenunwürdiger Haftbedingungen.

Der Kläger befindet sich seit dem 17.01.2006 zur Verbüßung einer Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) B. Bis zum 01.08.2006 war der Kläger (mit Ausnahme eines Krankenhausaufenthalts vom 02.02.2006 bis 15.02.2006) in einer Gemeinschaftszelle mit einem weiteren Gefangenen untergebracht. Die Zelle hatte eine Grundfläche von 9,09 m² und war mit einem Doppelstockbett, zwei Schränken, einem Tisch, zwei Stühlen, zwei Regalen und einem Fernsehregal ausgestattet. Die nicht gesondert entlüftete Toilette war lediglich durch einen Vorhang abgetrennt.

Der Mitgefangene des Klägers, der Zeuge H , begann am 01.04.2006 in der JVA eine Ausbildung; der Kläger ging seit dem 06.04.2006 einer Arbeitstätigkeit nach. Die Ausbildungs- und Arbeitszeiten sind auf 6.40 Uhr bis 11.30 Uhr und 12.35 Uhr bis 15.00 Uhr festgelegt.

Eine gerichtliche Entscheidung zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der gemeinschaftlichen Unterbringung hat der Kläger nicht herbeigeführt.

Der Kläger hat mit anwaltlichem Schreiben vom 08.06.2006, das am 12.06.2006 bei der JVA B eingegangen ist, einen Antrag auf Einzelunterbringung gestellt. Dieser Antrag wurde wegen der Belegungssituation abschlägig beschieden. In dem Ablehnungsschreiben vom 13.06.2006 heißt es u.a.:

"In vergleichbaren Fällen wurde die Justizvollzugsanstalt B ... im Einzelfall in der Vergangenheit bereits zur sofortigen Einzelunterbringung verpflichtet. Soweit sich diese hier nicht realisieren ließ, wurde den Betroffenen nach Beteiligung des Justizministeriums ... in anderen vom Justizministerium genannten Justizvollzugsanstalten des Landes eine Einzelunterbringung angeboten. Entsprechende Wünsche von Ihren Mandanten Semper ... sind allerdings bisher nicht an die Bediensteten herangetragen worden."

In einem Schreiben der Generalstaatsanwaltschaft ... vom 27.10.2007 (I 265 f.) in einer Angelegenheit des Mithäftlings des Klägers, des Zeugen H, hat diese ausgeführt:

"Obwohl er (der Gefangene H) ebenso wie sein Zellengenosse bereits zu Beginn seiner Inhaftierung mündlich die Einzelunterbringung beantragte,..."

Der Kläger hat vorgetragen, dass er bereits bei seiner Verlegung in die JVA B mündlich einen Antrag auf Einzelunterbringung gestellt habe. Später habe er weitere schriftliche Anträge an die Bediensteten der JVA gerichtet, u.a. am 28.05.2006. Die Anträge seien abgelehnt worden, man habe ihm jedoch gesagt, dass er sich auf der Warteliste befände.

Der Kläger meint, die gemeinschaftliche Unterbringung in der JVA B sei rechtswidrig und menschenunwürdig gewesen. Die nicht abgetrennte Toilette habe ihm die Toilettenbenutzung während der Anwesenheit seines Mithäftlings unmöglich gemacht. Eine Toilettennutzung sei für ihn nur in Betracht gekommen, wenn er alleine im Haftraum gewesen sei oder Toiletten außerhalb des Haftraums habe in Anspruch nehmen können. Als Folge seien bei ihm starke körperliche Beschwerden wie Unterleibsschmerzen und Unterzuckerung nach reduzierter Nahrungsaufnahme aufgetreten.

In erster Instanz hat der Kläger beantragt:

Das bekla...

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