Entscheidungsstichwort (Thema)
Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 ist dahingehend zu verstehen, dass bei einer nur vorübergehenden Veränderung der Versicherungsleistungen von einer Beitragsanpassung zwar abgesehen werden kann, eine solche aber - im Umkehrschluss - grundsätzlich möglich ist. Damit weicht die Klausel von dem zwingenden § 203 Abs. 2 VVG ab und ist unwirksam.
2. Trotz Unwirksamkeit von § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 bleiben die hiervon unabhängigen Bestimmungen in § 8b Abs. 1 betreffend die Absenkung des für Versicherungsleistungen geltenden Schwellenwertes auf 5 % unberührt.
3. In der Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Beitragsanpassung gemäß § 203 Abs. 5 VVG muss nicht darauf hingewiesen werden, dass sich die Versicherungsleistungen nicht nur vorübergehend verändert haben.
Normenkette
MB/KK 2009 § 8b; VVG § 203
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 07.06.2021; Aktenzeichen 11 O 228/20) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 07.06.2021, Az. 11 O 228/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Dieses und das in Ziff. 1 genannte Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis 4.000 EUR festgesetzt.
Für den Berufungsantrag Ziff. 2 ist kein zusätzlicher Einzelstreitwert anzusetzen, da sich der dortige Feststellungsantrag auf einen Zeitraum beschränkt, für den mit dem Berufungsantrag Ziff. 3 Zahlungsansprüche geltend gemacht werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20.01.2021 - IV ZR 294/19, juris Rn. 2). Der Berufungsantrag Ziff. 4 betrifft Nebenforderungen (Nutzungen, Zinsen), die sich gemäß § 43 GKG auf den Streitwert nicht auswirken.
Gründe
Der Kläger begehrt die Feststellung der Unwirksamkeit mehrerer Tariferhöhungen in seiner privaten Kranken- und Pflegeversicherung sowie Rückzahlung auf diese Prämienerhöhungen geleisteter Beiträge nebst Nutzungen und Zinsen.
Der Kläger unterhält bei dem Beklagten seit 01.01.1999 unter der Versicherungsvertragsnummer ...9 eine private Kranken- und Pflegeversicherung für sich und seine beiden Kinder Frederic und Stella mit unterschiedlichen Tarifen.
Die Tarife PN und PNM beziehen sich auf die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung, ihnen liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten - und Krankenhaustagegeldversicherungen (AVB/KK) mit den Musterbedingungen 2009 (MB/KK 2009) als Teil I und den Tarifbedingungen PN (im Weiteren: Tarifbedingungen) als Teil II zugrunde.
Die Tarife TG beziehen sich auf die Krankentagegeldversicherung, ihnen liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung (AVB/KT) mit den Musterbedingungen 2009 (MB/KK 2009) als Teil I und den Tarifbedingungen TG (im Weiteren ebenfalls einheitlich: Tarifbedingungen) als Teil II zugrunde.
In § 8b AVB/KK ist unter "Beitragsanpassung" folgendes bestimmt:
(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. [...].
(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
(3) [...]
In den zugehörigen Tarifen ist unter Ziff. 7.11 geregelt:
"Zu § 8b MB/KK 2009: Beitragsanpassung
Ergibt die vorgesehene Gegenüberstellung der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen nach den Vorschriften des VAG und der Krankenversicherungsaufsichtsverordnung (KVAV) für eine Beobachtungseinheit eine Abweichung von mehr als 10%, so überprüfen wir alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit und passen sie, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders an.
Bei einer Abweichung der erforderlichen mit den kalkulierten Versicherungsleistungen nach den Vorschriften des VAG und der KVAV für eine Beobachtungseinheit von mehr als 5 % können wir alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit überprüfen und, soweit erforderlich, mit Zustimmu...