Leitsatz (amtlich)
Der Käufer eines vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs kann ausnahmsweise vom Kaufvertrag zurücktreten, ohne dem Händler eine Frist zur Nachbesserung gem. § 437 Nr. 2, § 323 Abs. 1 BGB zu setzen, wenn die in § 323 Abs. 2 BGB und § 440 BGB abschließend geregelten Voraussetzungen vorliegen, weil dem Käufer die vom Händler allein angebotene Nachbesserung in Form eines Software-Updates unzumutbar ist. Daran ändert das Bestehen eines im Darlehensvertrag für das finanzierte Fahrzeug vereinbarten sog. verbrieften Rückgaberechts jedenfalls dann nichts, wenn nicht feststeht, dass der Käufer im Zeitpunkt der Zahlung der Schlussrate Kenntnis von der Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs hatte.
Tenor
I. Auf die Berufung der Beklagten wird - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 5. April 2019 - 15 O 53/18 - im Kostenpunkt aufgehoben, im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 23.795,55 EUR nebst Zinsen in Höhe von jeweils 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz
- vom 3. November 2017 bis 10. Oktober 2018 aus einem Betrag von 25.210,64 EUR, der sich ab 3. November 2017 bis 10. Oktober 2018 Tag für Tag linear auf 24.966,43 EUR ermäßigt,
- vom 11. Oktober 2018 bis 8. Januar 2020 aus einem Betrag von 24.966,43 EUR, der sich ab 11. Oktober 2018 bis 8. Januar 2020 Tag für Tag linear auf 23.795,55 EUR ermäßigt, sowie
- aus 23.795,55 EUR seit 9. Januar 2020
zu zahlen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw V. Passat 2.0 TDI DSG Highline, Fahrzeugidentifikationsnummer ....
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des im Tenor Ziff. I.1. bezeichneten Fahrzeugs in Verzug befindet.
3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten der ersten Instanz tragen die Klägerin zu 8 % und die Beklagte zu 92 %.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 6 % und die Beklagte 94 %.
III. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil - soweit es aufrechterhalten bleibt - sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils für die Klägerin vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten über Ansprüche der Klägerin im Zusammenhang mit einem Kaufvertrag über ein von dem sog. "Abgasskandal" betroffenes Fahrzeug.
Die V. AG (im Folgenden: V. AG) stellte unter der Bezeichnung "EA 189" einen Dieselmotor her, in dessen Motorsteuerung eine zuvor entwickelte Software zur Abgassteuerung installiert wurde. Diese Software verfügt über zwei unterschiedliche Betriebsmodi, welche die Abgasrückführung steuern. In dem im Hinblick auf den Stickoxidausstoß optimierten "Modus 1", der beim Durchfahren des für die amtliche Bestimmung der Fahrzeugemissionen maßgeblichen Neuen Europäischen Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) automatisch aktiviert wird, kommt es zu einer höheren Abgasrückführungsrate, wodurch die gesetzlich geforderten Grenzwerte für Stickoxidemissionen eingehalten werden. Bei im normalen Straßenverkehr anzutreffenden Fahrbedingungen ist der partikeloptimierte "Modus 0" aktiviert, der zu einer geringeren Abgasrückführungsrate und damit zu einem höheren Stickoxidausstoß führt.
Der o.g. Dieselmotor wurde auf Veranlassung des Vorstands der V. AG in diversen Fahrzeugtypen der zum V.-Konzern gehörenden Unternehmen verbaut.
Am 16. Juni 2015 bestellte die Klägerin bei der Beklagten - einem Autohaus - ein gebrauchtes Fahrzeug der Marke V., Typ Passat 2.0 TDI zu einem Kaufpreis von 29.930 EUR (LGU 2; verbindliche Bestellung vgl. Anlage K 1). Das Fahrzeug mit der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ... wurde der Klägerin am 27. Juni 2015 mit einem Kilometerstand von 12.300 übergeben (LGU 2). In dem Fahrzeug ist der o.g. Dieselmotor des Typs EA 189 mit 2,0 Liter Hubraum verbaut, dessen Motorsteuerung im Zeitpunkt der Übergabe an die Klägerin die o.g. Software zur Abgassteuerung enthielt.
Zur Finanzierung eines Teils des Kaufpreises schloss die Klägerin mit der V. Bank GmbH einen Darlehensvertrag. Der Darlehensvertrag enthielt ein sog. verbrieftes Rückgaberecht. Dieses eröffnete der Klägerin die Möglichkeit, das Fahrzeug bei Fälligkeit der Schlussrate des Darlehens an die Beklagte zu näher bestimmten Bedingungen zurückzugeben. Vom Rückgaberecht machte die Klägerin keinen Gebrauch.
Mit Bescheid vom 15. Oktober 2015 verfügte das Kraftfahrtbundesamt (im Folgenden: KBA) gegenüber der V. AG "zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit der [...] Typengenehmigung [...] des Typs EA 189 EU5" die "unzulässigen Abschalteinrichtungen" zu entfernen und drohte damit, andernfalls "die Typengenehmigung ganz oder teilweise zu widerrufen oder zurückzunehmen". Zugleich wurde die Beklagte verpflichtet, den technischen Nachweis zu führen, dass nach ...