Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der Abwägung gem. § 9 StVG müssen bei der Bewertung des Ver-schuldens eines Kindes "altersgemäße Maßstäbe" berücksichtigt werden, so dass das Verschulden eines Kindes dem eines Erwachsenen grundsätzlich nicht gleich gesetzt werden kann, sondern geringer zu bewerten ist. Bei der Unfallbeteiligung eines Kindes tritt deshalb die Betriebsgefahr entsprechend ihrem Haftungszweck nur ausnahmsweise hinter dem Verschulden des Kindes zurück, wenn ein "auch altersspezifisch subjektiv besonders vorwerfbarer" Sorgfaltsverstoß des Kindes vorliegt.
Die zum Unfallzeitpunkt 10 Jahre und 9 Monate alte E befand sich auf dem Rückweg von einer Theatervorstellung in einer Gruppe von Schülern. Gemeinsam mit einer Freundin löste sie sich aus dieser Gruppe und wollte die 7,20 m breite B.-Straße überqueren. Zu diesem Zweck lief sie zwischen im Rückstau vor einer Ampel stehenden Fahrzeugen auf die 7,20 m breite Fahrbahn und wurde von dem auf der Gegenfahrbahn mit einer Geschwindigkeit von 40-42 km/h in Gegenrichtung fahrenden Pkw des Beklagten 2 erfasst und schwer verletzt. Der Beklagte 2 hatte zuvor mit seinem Fahrzeug an der einige Meter von der Unfallstelle entfernten Ampel gestanden.
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 03.02.2012; Aktenzeichen 2 O 209/11) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Freiburg vom 3.2.2012 - 2 O 209/11 - unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt abgeändert:
(1) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 14.734,84 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.6.2011 zu bezahlen.
(2) Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin weiteren zukünftigen Aufwand mit einer Quote von 1/3 zu erstatten, den diese aus Anlass des Verkehrsunfalls der E. K. vom 13.2.2009 in L. noch haben wird, soweit die Ansprüche gem. § 116 SGB X auf die Klägerin übergegangen sind.
(3) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin 1/3 und tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 2/3.
3. Dieses Urteil sowie das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf EUR 24.602,27 festgesetzt.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin, eine Unfallversicherung, verlangt aus übergegangenem Recht gem. § 116 SGB X Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall sowie Feststellung der weiteren Eintrittspflicht der Beklagten, jeweils mit einer Quote von 50 %.
Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
Das LG hat die Klage abgewiesen.
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihren erstinstanzlichen Antrag in vollem Umfang weiter. Die Beklagten haben Zurückweisung der Berufung beantragt.
Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Ermittlungsakten und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.
II. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
Das LG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die an sich gegebene Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr trete hinter das Verschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin zurück, weil diese sich grob fahrlässig verhalten habe. Dies hält einer Überprüfung nicht stand. Die Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile führt zu einer Haftung der Beklagten mit einer Quote von 1/3. In diesem Umfang sind die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche begründet.
1. Dem LG ist darin zu folgen, dass eine Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr gem. § 7 Abs. 1 StVG nicht wegen höherer Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen ist, und dass die Beweisaufnahme nicht ergeben hat, dass den Beklagten zu 2 an dem Unfall ein Verschulden trifft. Dies greift die Klägerin mit der Berufung auch nicht an.
Ferner ist das LG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die Geschädigte gegen § 25 Abs. 3 StVO verstoßen hat. Danach haben Fußgänger eine Straße "unter Beachtung des Fahrzeugverkehrs [...] zu überschreiten". Die Geschädigte war im Zeitpunkt des Unfalls 10 Jahre und 9 Monate, so dass sie die Altersgrenze des § 828 Abs. 2 S. 1 BGB bereits überschritten hatte. Fehlende Einsichtsfähigkeit i.S.v. § 828 Abs. 3 BGB behauptet die Klägerin nicht. Soweit sie den vorangegangenen Theaterbesuch der Geschädigten anführt, beruft sie sich lediglich auf eine aufgrund dessen vorübergehend verringerte Fähigkeit der Geschädigten, Gefahren wahrzunehmen.
2. Nicht zuzustimmen ist hingegen der Ansicht des LG, die Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr trete im Rahmen der Abwägung gem. § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB hinter das Verschulden des verletzten Kindes zurück.
a. Im Rahmen der Abwägung gem. § 9 StVG müssen bei der Bewertung des Verschuldens eines Kindes "altersgemäße Maßstäbe" berücksichtigt werden, so dass das Verschulden eines Kindes dem eines Erwachsenen grundsätzlich nicht gleic...