Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Umfang einer Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht)
Leitsatz (amtlich)
1. Der Umfang einer Grunddienstbarkeit ist wandelbar; er kann bei einer Bedarfssteigerung wachsen. Voraussetzung ist, dass sich die Bedarfssteigerung in den Grenzen einer der Art nach gleichbleibenden Benutzung des herrschenden Grundstücks hält und nicht auf eine zur Zeit der Dienstbarkeitsbestellung nicht voraussehbare und willkürliche Benutzungsänderung zurückzuführen ist (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil vom 18.07.2014 - V ZR 151/13).
2. Eine willkürliche Bedarfssteigerung kann vorliegen, wenn das herrschende Grundstück ursprünglich - bei Bestellung der Grunddienstbarkeit - auch von öffentlichen Wegen aus zugänglich war und erst später durch bauliche Maßnahmen ein rückwärtiger Gebäudeteil so abgetrennt wurde, dass er ausschließlich über das dienende Grundstück zugänglich ist, und dieser rückwärtige Gebäudeteil an einen Tanzschulbetreiber vermietet wurde.
Normenkette
BGB §§ 1004, 1018, 1020
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 06.02.2020; Aktenzeichen 2 O 292/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 06.02.2020, Az. 2 O 292/18, im Kostenpunkt aufgehoben und wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, es zu unterlassen, über die Tiefgaragenzufahrt des Grundstücks Flurstück Nummer .../25 (H-straße 15) in P den Zugang zu den Tanzschulräumen im Gebäude S-straße 17 in P zu ermöglichen.
1.1 Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger 1/3 und die Beklagte 2/3.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Art und Weise der Nutzung einer Tiefgaragenzufahrt auf dem Grundstück der Kläger.
Die Kläger sind seit 2012 Eigentümer des Grundstücks Flst.-Nr. .../25 (H-straße 15) in P. Bei dem Gebäude handelt es sich um ein Geschäftshaus, in dessen Untergeschoss sich eine Tiefgarage mit 25 Stellplätzen befindet. Das Gebäude wurde in den Jahren 2014/2015 fertiggestellt. Im Grundbuch ist zulasten des Grundstücks der Kläger folgende Grunddienstbarkeit eingetragen:
"Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht - auch für Lkw (12 Tonnen) - sowie Nutzungsrecht an mindestens 25 Stellplätzen in der Tiefgarage im UG) für den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks Flurstück Nummer .../17, derzeit eingetragen im Grundbuch von P, Blatt Nr. ... [... ])".
Zum Zeitpunkt der Eintragung der Grunddienstbarkeit nutzten überwiegend Angestellte der auf dem Grundstück Flst.-Nr. .../17 tätigen Firma die Möglichkeit, mittels ausgegebener Schlüssel das Garagentor zu öffnen, ein Fahrzeug auf einem Tiefgaragenparkplatz abzustellen und sodann in die Räumlichkeiten der Firma zu gehen.
[Redaktionelle Ergänzung des Sachverhalts (nicht im Urteil, da für den Rechtsstreit ohne Belang): Die Tiefgarage erstreckt sich auch auf einen Teil des benachbarten Grundstücks .../16, zu dessen Gunsten ebenfalls ein Geh- und Fahrrecht im Grundbuch eingetragen ist.]
Die Beklagte ist nunmehr Eigentümerin des Grundstücks Flst.-Nr. .../17. Ihr Grundstück ist sowohl über die angrenzende G-straße als auch über die angrenzende S-straße zu erreichen. Das Gebäude auf dem Grundstück ist ein ehemaliges Fabrikgebäude, das nach einem Umbau anderweitig gewerblich genutzt wird. Die Beklagte hat das Grundstück zwischenzeitlich verkauft, zu einer Übergabe des Grundstücks an den Erwerber und einer Eintragung des Erwerbers im Grundbuch war es bis zur mündlichen Verhandlung in erster Instanz nicht gekommen, weil der Kaufpreis nicht vollständig gezahlt worden war.
Die Beklagte vermietete im Frühjahr 2018 Teile ihres auf dem Grundstück belegenen Gebäudes an eine Tanzschule ("U School"). Die Räumlichkeiten der Tanzschule befinden sich in einem rückwärtigen Anbau, der wegen anderweitiger Nutzungen des restlichen Gebäudes weder von der S-straße noch von der anliegenden G-straße betreten werden kann. Der Publikumsverkehr zu und von der Tanzschule erfolgt seit Frühjahr 2018 über die Zufahrt zur Tiefgarage, also über das Grundstück der Kläger. Der Mieter der Beklagten brachte am Eingangsbereich ein Geschäftsschild an. Die neben dem Garagentor vorhandene Tür war bis Frühjahr 2018 auf der Außenseite mit einem Knauf ausgestattet, der eine Öffnung nur mit Schlüssel erlaubte. Die Beklagte oder ihr Mieter tauschte den Knauf gegen eine Klinke aus, der nunmehr von außen den jederzeitigen Zugang auch ohne Schlüssel ermöglicht.
Eine Klingel oder ein Türöffner, der die Öffnung der Tür durch die Beklagte bzw. ihren Mieter ermöglichen würde, ist nicht vorhanden.
Die Kläger haben vorgetragen:
Diese Nutzung führe zu erheblichen Beeinträchtigungen. Das Garagentor werde regelmäßig geöffnet und im offenen Zustand fixiert, so dass ungehinderter Publikumsverkehr möglich sei. Auch komme es im Bereich der Tür regelmäßig zu Beschädigungen, die darauf beruhten, dass versucht werde, die Tür und das Tor...