Leitsatz (amtlich)
1. § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS n.F. ist dahin auszulegen, dass die Voraussetzungen für die entsprechende Anwendung des § 79 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 VBLS n.F. - abgesehen von dem Erfordernis der Vollendung des 60. Lebensjahrs - am Stichtag (31.12.2001) selbst erfüllt sein müssen. Erst zu einem späteren Zeitpunkt wirksam werdende Änderungen im Sozialversicherungsrecht führen damit grundsätzlich ebenso wenig zur Anwendung der Vorschrift wie der Umstand, dass ein Versicherter zu einem späteren Zeitpunkt von der Möglichkeit einer freiwilligen Beitragsnachzahlung Gebrauch gemacht hat und die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Rente für schwerbehinderte Menschen erfüllt hätte, wenn die Beitragsnachzahlung vor dem Stichtag erfolgt wäre.
2. Die Stichtagsregelung des § 79 Abs. 2 Satz 4 VBLS n.F. benachteiligt Versicherte, die die Anspruchsvoraussetzungen auf eine Rente für schwerbehinderte Menschen erst nach dem 31.12.2001 erfüllen, nicht unangemessen.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 11.03.2005; Aktenzeichen 6 O 356/03) |
Tenor
1. Auf die Berufungen beider Parteien wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 11.3.2005 - 6 O 356/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung erteilte Startgutschrift den Wert der von dem Kläger bis zum 31.12.2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weiter gehenden Berufungen werden zurückgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Zwangsvollstreckung kann durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger beanstandet die ihm von der Beklagten auf der Grundlage ihrer neu gefassten Satzung mitgeteilte Startgutschrift.
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) zahlt Versicherten im öffentlichen Dienst eine Zusatzrente, mit der die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufgestockt wird. Mit Ablauf des 31.12.2001 hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem umgestellt von einer an der Beamtenversorgung orientierten Gesamtversorgung auf ein auf die Verzinsung von Beiträgen ausgerichtetes Punktemodell. Danach errechnet sich die bei Eintritt des Versicherungsfalls zu leistende Betriebsrente aus der Summe der erworbenen Versorgungspunkte.
Der Systemwechsel beruht auf einer Einigung der Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 1.3.2002 (ATV). Die Tarifregelungen hat die VBL durch eine Neufassung ihrer Satzung (VBLS) rückwirkend zum 1.1.2002 umgesetzt. Die neue Satzung enthält auch Übergangsregelungen für die bereits Rentenberechtigten (§§ 75 - 77 VBLS) sowie Regelungen zu den Rentenanwartschaften der über den Umstellungsstichtag hinaus bei ihr pflichtversicherten Arbeitnehmer (Rentenanwärter - §§ 78 ff. VBLS). Die Anwartschaften werden wertmäßig festgestellt und als sog. Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten übertragen. Dabei wird unterschieden zwischen rentennahen Jahrgängen (die am 1.1.2002 das 55. Lebensjahr vollendet haben und nicht dem Tarifgebiet Ost unterliegen) und den übrigen, sog. rentenfernen Jahrgängen. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Die Anwartschaften der ca. 1,7 Millionen Rentenfernen berechnen sich gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS nach § 18 Abs. 2 BetrAVG. § 18 Abs. 2 BetrAVG in der hier maßgeblichen, am 1.1.2001 in Kraft getretenen Fassung enthält Regelungen zur Höhe betrieblicher Versorgungsanwartschaften für Arbeitnehmer, die vor Eintritt des Versorgungsfalles aus einem Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst ausgeschieden sind.
Die Beklagte hat dem 1948 geborenen Kläger eine Startgutschrift für rentenferne Jahrgänge erteilt. In der Mitteilung vom 15.10.2002 hat die Beklagte die Rentenanwartschaft des Klägers zum 31.12.2001 auf 753,64 EUR beziffert und dementsprechend eine Startgutschrift von 188,41 Versorgungspunkten. Der Kläger ist seit 3.4.2000 anerkannt schwerbehindert.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen, insb. auch zur näheren Ausgestaltung des alten und des neuen Versorgungssystems und der Übergangsvorschriften, wird auf das Urteil des LG Bezug genommen.
Das LG hat die Feststellungsanträge des Klägers bei Klagabweisung im Übrigen wie folgt verbeschieden:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung der Startgutschrift des Klägers § 79 Abs. 2 S. 4 VBLS n.F. anzuwenden.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger bei Eintritt des Versicherungsfalles mindestens eine Betriebsrente zu gewähren, die dem geringeren Betrag der Berechnung der Zusat...