Leitsatz (amtlich)
1. Die Belehrung über den Beginn der Widerrufsfrist gem. § 355 Abs. 2 S. 1 BGB in der bis zum 10.06.2010 geltenden Fassung ist - unabhängig von der Kausalität des Fehlers im Einzelfall - unzureichend, wenn ihr nicht deutlich zu entnehmen ist, dass die Frist nicht beginnt, bevor der Verbraucher im Besitz seiner eigenen Vertragserklärung in Schriftform ist.
2. Der Abschluss einer "Aufhebungsvereinbarung" zur Ablösung des Darlehens lässt weder den Widerruf der Vertragserklärung durch den Verbraucher ins Leere gehen noch führt er allein zur Verwirkung des Widerrufsrechts.
3. Der Anspruch auf Rückzahlung des Aufhebungsentgelts folgt nicht unmittelbar aus §§ 346 Abs. 1, 357 Abs. 1 BGB oder § 812 Abs. 1 BGB, sondern aus dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht nach Wegfall der Geschäftsgrundlage, § 313 Abs. 1 S. 1, Abs. 3 S. 1 BGB i.V.m. § 346 BGB.
Verfahrensgang
LG Karlsruhe (Urteil vom 09.10.2015; Aktenzeichen 6 O 149/15) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des LG Karlsruhe vom 9.10.2015 - 6 O 149/15 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsrechtszuges fallen der Beklagten zur Last.
3. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil des LG sind vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.727,61 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt Rückzahlung der von ihm an die beklagte Bank nach einvernehmlicher Auflösung eines Immobiliardarlehens entrichteten Vorfälligkeitsentschädigungen.
Mit Verträgen vom 12.3./16.03.2008 und 28.02./02.03.2008 gewährte die Beklagte dem Kläger zwei Darlehen zur Finanzierung eines Immobilienerwerbs in Höhe von insgesamt 55.000 EUR mit zehnjähriger Zinsbindung. Die Widerrufsbelehrung beider Verträge lautete (Anlage K 1):
"Widerrufsrecht
Sie können Ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen ohne Angabe von Gründen in Textform (z. B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit dem Erhalt dieser Belehrung.
Unter der Rubrik "finanzierte Geschäfte" belehrte die Beklagte über verbundene Geschäfte und erläuterte den Begriff der wirtschaftlichen Einheit folgendermaßen:
"Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn wir zugleich auch Ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind, oder wenn wir uns bei Vorbereitung oder Abschluss des Darlehensvertrages der Mitwirkung ihres Vertragspartners bedienen. Beim finanzierten Erwerb eines Grundstücks oder grundstücksgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn wir zugleich auch Ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind oder wenn wir über die Zurverfügungstellung von Darlehen hinausgehen und ihr Grundstücksgeschäft durch Zusammenwirken mit dem Veräußerer fördern, indem wir uns dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu eigen machen, bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernehmen oder den Veräußerer einseitig begünstigen."
Hinsichtlich beider Darlehensverträge schlossen die Parteien, nachdem der Darlehensnehmer die finanzierte Immobile veräußert hatte, auf der Grundlage des Angebots der Beklagten vom 07.10.2014 einen "Aufhebungsvertrag" über die Zahlung eines Vorfälligkeitsentgelts in Höhe von insgesamt 5.727,67 EUR (Anlagen K 3 und K 4). Der Kläger zahlte diese Summe bei Ablösung der Darlehen. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 17.12.2014 erklärte der Kläger den Widerruf seiner Darlehensvertragserklärungen. Die ihm erteilten Widerrufsbelehrungen seien irreführend und undeutlich, so dass die Widerrufsfristen von je zwei Wochen nicht in Lauf gesetzt worden seien.
Die Beklagte hat sich gegen die allein auf Rückzahlung der Vorfälligkeitsentschädigung gerichtete Klage in erster Linie damit verteidigt, die Widerrufsbelehrung sei rechtlich nicht zu beanstanden, jedenfalls stehe der Geltendmachung des Widerrufsrechts der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen. Insbesondere finde die zurückverlangte Zahlung in der gesonderten Aufhebungsvereinbarung der Parteien ihren Rechtsgrund.
Das LG hat der Klage durch Urteil vom 09.10.2015, auf das wegen der weiteren Feststellungen zum erstinstanzlichen Sach- und Streitstand Bezug genommen wird, in vollem Umfang stattgegeben. Der Widerruf der Darlehensvertragserklärungen durch die Kläger sei wirksam, weil die Beklagte es an einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerrufsrecht habe fehlen lassen. Die Beklagte könne sich auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion der Musterbelehrung berufen, da sie den Mustertext abgeändert habe. Eine Verwirkung des Widerrufsrechts komme ebenso wenig in Betracht wie eine unzulässige Rechtsausübung. Die rechtlich selbständige Vereinbarung im Rahmen der Darlehensablösung stehe der Rückforderung des gezahlten Vorfälligkeitsentgelts nicht entgegen. Mit dem Widerruf der Darlehensvertragserklärungen entfalle auch die Rückzahlungsvereinbarung.
Hiergegen wendet sich die Beklagte, die unter Hinweis auf ihre bereits im ersten Rechtszug vertretene Rechtsansicht m...