Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweilige Unterlassungsverfügung in Patentverletzungsstreitigkeiten
Leitsatz (amtlich)
1. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung in Patentverletzungsstreitigkeiten ist, dass die Beurteilung der Verletzungsfrage im Einzelfall keine Schwierigkeiten macht und dass sich keine durchgreifenden Zweifel an der Schutzfähigkeit des Klagepatents aufdrängen; ergänzend ist eine Bewertung und Abwägung der Interessen der Parteien vorzunehmen (vgl. OLG Karlsruhe GRUR-RR 2009, 442 - vorläufiger Rechtsschutz).
2. Von einem für den Erlass einer Unterlassungsverfügung hinreichend gesicherten Rechtsbestand kann im Grundsatz nur dann ausgegangen werden, wenn das Verfügungspatent ein erstinstanzliches Einspruchs- oder Nichtigkeitsverfahren überstanden hat (OLG Düsseldorf InstGE 9, 140, 146 - Olanzapin; OLG Düsseldorf InstGE 12, 114 - Harnkatheterset).
3. Sobald aber eine solche Entscheidung vorliegt, ist grundsätzlich von einem ausreichend gesicherten Rechtsbestand auszugehen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 18.12.2014, I-2 U 60/14, juris-Rn. 44).
4. Der Verfügungsgrund nach § 940 ZPO setzt voraus, dass der Verfügungskläger die zur Ermittlung des Sachverhalts und zur Verfolgung seiner Rechte erforderlichen Schritte jeweils zielstrebig in die Wege geleitet und zu Ende geführt hat. Der Verfügungskläger ist im Rahmen des Dringlichkeitserfordernisses aber nicht gehalten, bei der Rechtsverfolgung ein erhöhtes Prozessrisiko einzugehen (OLG Düsseldorf GRUR-RR 2013, 236 - Flupirtin-Maleat). Deshalb kann es unter besonderen Umständen des Einzelfalls gerechtfertigt sein, wenn der Verfügungskläger eine anstehende Entscheidung in einem parallel gelagerten (dasselbe Patent und dieselbe Ausführungsform betreffenden) Hauptsacheverfahren abwartet, bevor er den Erlass einer Unterlassungsverfügung beantragt.
5. Die Frage, ob die Vollziehung des im Rahmen eines Verfügungsverfahrens ausgesprochenen Unterlassungsgebots von einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht wird, hängt von einer Würdigung aller Umstände des Einzelfalls ab, insbesondere vom Grad der Klärung der Verletzungs- und der Rechtsbestandsfrage sowie von absehbaren Vollziehungsfolgen.
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 27.01.2015; Aktenzeichen 2 O 203/14) |
Tenor
1. Die Berufung der Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des LG Mannheim vom 27.01.2015 (Az. 2 O 203/14) wird zurückgewiesen.
2. Die Verfügungsbeklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe
I. Die Verfügungsklägerin (nachstehend: Klägerin) nimmt die Verfügungsbeklagte (nachstehend: Beklagte) im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes wegen Verletzung des europäischen Patents EP 2 295 299 B1 (nachstehend: Verfügungspatent) auf Unterlassung und Herausgabe verletzender Gegenstände an den Gerichtsvollzieher in Anspruch.
Die Klägerin ist Inhaberin des am 08.02.2005 unter Inanspruchnahme der Priorität vom 27.02.2004 einer italienischen Schrift angemeldeten Verfügungspatents, das einen Ausrüstungssatz zum Aufblasen und Reparieren aufblasbarer Artikel, insbesondere Reifen, zum Gegenstand hat. Die Anmeldung wurde am 16.03.2011, die Erteilung am 04.07.2012 veröffentlicht. Das Klagepatent steht in Kraft; die Bundesrepublik Deutschland zählt zu den benannten Vertragsstaaten. Die X A/S hat gegen die Erteilung Einspruch eingelegt, der mit Entscheidung vom 30.04.2014 zurückgewiesen wurde (Anlagen Ast 5 - 6a). Dagegen hat die X A/S Beschwerde eingelegt; die Beklagte ist im Beschwerdeverfahren dem Einspruch der X A/S beigetreten. Die Beschwerde der X A/S und der Beklagten hat die Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts am 01.07.2015 zurückgewiesen (Anlage "Ast 14").
Der im Streitfall geltend gemachte Patentanspruch 1 lautet in der englischen Verfahrenssprache:
A kit for inflating and repairing inflatable articles, in particular, tyres; the kit comprising a compressor assembly (2), a container (3) of sealing liquid, first connecting means (4, 5) for connecting the container to the compressor assembly (2) and to an inflatable article for repair or inflation, an outer casing (6) housing said compressor assembly (2) and defining a seat (7) for the container (3) of sealing liquid, said container (3) being housed removably in said seat (7), and second connecting means (4, 40) for stably connecting said container to said compressor assembly (2), so that the container, when housed in said seat (7), is maintained functionally connected to said compressor assembly (2), wherein said first connecting means (4, 5) comprises a third connecting means in the form of first hose (4) or a feed line connecting the container (3) to the compressor assembly (2) and a fourth connecting means in the form of a second hose (5) connected to said container (3) and connectable to a valve of the inflatable article to repair the inflatable article, characterized in that said fourth connecting means hose (5), when not in use, is wound about said outer casing (6) and housed inside a peripheral groove (56) of said cas...