Leitsatz (amtlich)

1. Wegen der besonderen Bedeutung der Zustellung einer durch Beschluss erlassenen einstweiligen Verfügung für deren Wirksamwerden kommt eine Heilung von Zustellungsmängeln (§ 187 S. 1 ZPO a.F.) nicht in Betracht.

2. Einer erneuten Vollziehung einer im Widerspruchsverfahren (oder Berufungsverfahren) geänderten Beschlussverfügung bedarf es nur, wenn es sich um eine wesentliche Abänderung handelt. Dies ist unter Berücksichtigung des von § 929 Abs. 2 ZPO bezweckten Schuldnerschutzes zu beurteilen.

 

Normenkette

ZPO § 187 S. 1 a.F., § 929 Abs. 2

 

Verfahrensgang

LG Karlsruhe (Aktenzeichen 14 0 69/02 KfH III)

 

Tenor

1. Auf die Berufungen der Verfügungsbeklagten wird das Urteil des LG Karlsruhe vom 17.5.2002 – 14 0 69/02 KfH III – im Kostenpunkt aufgehoben und abgeändert:

Die einstweilige Verfügung des LG Karlsruhe vom 25.4.2002 wird aufgehoben und der auf ihren Erlass gerichtete Antrag zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Verfügungsklägerin.

 

Gründe

I. Mit Beschlussverfügung vom 25.4.2002 hat das LG den Verfügungsbeklagten (künftig: Beklagte) untersagt, den in Kundenkarteien der Verfügungsklägerin (Klägerin) „Stand: 31.3.2001” verzeichneten Kunden näher spezifizierte IBM-Softwareprodukte anzubieten. Nach Widerspruch der Beklagten hat das LG im angefochtenen Urteil das Handlungsverbot nach Maßgabe des zuletzt gestellten eingeschränkten Antrags der Klägerin bestätigt und den Beklagten unter Androhung gesetzlicher Ordnungsmittel untersagt,

„den in den schriftlich und/oder elektronisch gespeicherten Kundenkarteien der Verfügungsklägerin Stand: 31.3.2001 verzeichneten (und namentlich im Tenor der angefochtenen Entscheidung aufgeführten) Kunden die Software Catia von IBM mit individuell für die speziellen Kundenbedürfnisse zugeschnittenen Lösungen für die Produktentwicklung, die Produktfertigung, Verbesserung des Fachdeckungsprozesses, Erhöhung der Produktivität, insb. zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des Kunden, unaufgefordert anzubieten”.

Dagegen wenden sich die Beklagten mit ihren Rechtsmitteln.

II. Die zulässigen Rechtsmittel der Beklagten sind begründet. Die vom LG im angefochtenen Urteil in eingeschränktem Umfang bestätigte einstweilige Verfügung hält den Angriffen der Berufung der Beklagten aus unterschiedlichen Gründen nicht stand.

1. Berufung der Beklagten 1

Mit Erfolg macht die Beklagte 1 geltend, dass die Klägerin die einstweilige Verfügung nicht ordnungsgemäß innerhalb der gesetzlichen Frist des § 929 Abs. 2 i.V.m. § 936 ZPO vollzogen habe. Daher ist auf ihren Antrag, der auch im Berufungsverfahren gestellt werden kann, die Unterlassungsverfügung, soweit sie sich gegen die Beklagte 1 richtet, schon aus diesem Grunde aufzuheben.

a) Gem. § 936 i.V.m. § 929 Abs. 2 ZPO muss eine einstweilige Verfügung innerhalb eines Monats vollzogen werden. Dabei beginnt die Frist, wenn die einstweilige Verfügung durch Beschluss erlassen worden ist, mit ihrer Zustellung an den Antragsteller, also im vorliegenden Fall am 25.4.2002 (I 11). Die Klägerin musste die Beschlussverfügung innerhalb bis zum 25.5.2002 offenen Frist vollziehen. Bei Beschlussverfügungen besteht jedoch die Besonderheit, dass diese gem. § 922 Abs. 2 ZPO überhaupt erst mit ihrer Zustellung an den Schuldner wirksam werden. Sie können, solange sie nicht wirksam sind (bzw. nicht innerhalb der Frist des § 929 Abs. 3 S. 2 ZPO wirksam werden, dazu OLG Hamburg v. 8.7.1993 – 3 U 68/93, OLGReport Hamburg 1995, WRP 1993, 822 [823]), auch nicht wirksam vollzogen werden. An der dafür erforderlichen Zustellung fehlt es hier.

Durch die an die Zweigniederlassung der Beklagten 1 erfolgte Zustellung ist die Verfügung ebenso wenig wirksam geworden wie durch die Zustellung an die Hauptniederlassung der Beklagten 1 am 17.5.2002 (Anl. K 10, Anlagenband OLG). Dieser Vorgang stellt keine wirksame Zustellung an die Beklagte 1 nach Maßgabe der seinerzeit noch geltenden Zustellungsvorschriften der § 166 ff. ZPO a.F. dar. Die Klägerin durfte die Verfügung nicht an die Beklagte 1 persönlich, sondern musste sie deren Verfahrensbevollmächtigten zustellen. Das folgt aus der Regelung des § 176 ZPO a.F. (= jetzt § 172 ZPO), die der zugleich verletzten Zustellungsvorschrift des § 171 ZPO a.F. vorgeht. Der Klägerin wurde aufgrund der ihr zusammen mit der Beschlussverfügung zugestellten Schutzschrift, in der sich der Bevollmächtigte der Beklagten 1 legitimiert hat, die Person des Verfahrensbevollmächtigten der Beklagten 1 zur Kenntnis gebracht; ob ihr Bevollmächtigter diese Information aufgenommen hat, spielt keine Rolle. In einem solchen Fall hat die Zustellung der Beschlussverfügung an diesen Rechtsanwalt zu erfolgen (OLG Karlsruhe v. 14.8.1985 – 6 U 102/85, WRP 1986, 166 [167]; v. 10.9.1986 – 6 U 65/86, WRP 1987, 44 [46]; Schmukle in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtschutz, Bd. II, 2. Aufl., Anhang zu § 935 B Rz. 7; Teplitzky, Wettbewerbsrechtliche Ansprüche und Verfahren, 8. Aufl., Kap. 55 Rz. 43, jeweils m.w.N.).

b) Dieser Zustellungsmangel ist...

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