Leitsatz (amtlich)

Ein Eingriff in das Sorgerecht der Eltern setzt eine gegenwärtige oder zumindest unmittelbar bevorstehende Gefährdung des Kindeswohles voraus. An den Grad der Wahrscheinlichkeit der Gefährdung des Kindeswohls sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und gewichtiger der drohende Schaden ist.

Besteht dieser Schaden in einer Beschneidung bzw. genitalen Verstümmelung, bedarf es deshalb nur geringer Anzeichen für eine entsprechende Gefahr, um einen Eingriff nach § 1666 BGB zu rechtfertigen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass auf das Vorliegen konkreter Verdachtsmomente gänzlich verzichtet werden kann und bereits eine abstrakte Gefährdung ausreicht, um ein Eingreifen zu rechtfertigen.

 

Verfahrensgang

AG Bad Säckingen (Beschluss vom 20.11.2008; Aktenzeichen 6 F 202/08)

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Kindeseltern wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Bad Säckingen vom 20.11.2008 (6 F 202/08) aufgehoben.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Im Übrigen verbleibt es bei der Kostenentscheidung erster Instanz.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Die Beteiligte Ziff. 1 und der Beteiligte Ziff. 2 sind die seit dem (...) miteinander verheirateten Eltern des Kindes D.

Die Kindeseltern sind äthiopischer Herkunft. Die Beteiligte Ziff. 1, die eine äthiopische Mutter und einen italienischen Vater hat, ist italienische Staatsangehörige. Sie lebt seit 1986 in Deutschland. Ihr Vater ist verstorben. Ihre Mutter lebt in Äthiopien, ihre vier Geschwister in Frankreich bzw. Italien. Sie hat in Äthiopien eine höhere Schule besucht und war hier zuletzt als (...) tätig.

Der Kindesvater (Beteiligter Ziff. 2) hat nach seinem in Äthiopien absolvierten Abitur ein Studium in O. aufgenommen, das er nach zwei Jahren abgebrochen hat. Er lebt seit 1990 in Deutschland und ist als (...) tätig. Seit 2003 hat er die deutsche Staatsangehörigkeit.

Aus der Verbindung der Kindeseltern ist neben der Tochter D. ferner der gemeinsame Sohn X., geboren am (...) hervorgegangen. Beide in L. geborene Kinder sind italienische Staatsangehörige.

Mit Schriftsatz vom 24.7.2008 hat die Organisation TaskForce beim Familiengericht Bad Säckingen beantragt, der Beteiligten Ziff. 1 die elterliche Sorge für ihre Tochter D. hinsichtlich der Ausreise des Mädchen nach Äthiopien sowie der Gesundheitsfürsorge für das Mädchen durch einstweilige Anordnung wegen drohender Gefährdung von Genitalverstümmelung zu entziehen. Zur Begründung wurde vorgetragen, die Kindeseltern hätten eine mehrwöchige Reise D. und ihres Bruders nach Äthiopien zu den Großeltern geplant, wobei die beiden Kinder voraussichtlich nur von der Schwester der Kindesmutter begleitet werden sollten.

Das Familiengericht leitete daraufhin ein Verfahren gem. § 1666 BGB ein.

Das Kreisjugendamt teilte mit Bericht vom 25.7.2008 mit, dass mit den Eltern und den beiden Kindern ein Gespräch geführt worden sei, das keine Hinweise auf eine Kindesgefährdung im Falle eines Besuches der beiden Kinder bei den Großeltern in Äthiopien ergeben habe.

Mit Beschl. v. 1.8.2008 - 6 F 183/08 - hat es das Familiengericht nach Anhörung der Eltern und des Jugendamts in Übereinstimmung mit der Einschätzung des Jugendamts abgelehnt, eine Anordnung nach § 1666 BGB zu erlassen. Auf die Gründe des Beschlusses wird Bezug genommen

Mit Schreiben vom 19.8.2008 teilte das Jugendamt dem Familiengericht mit, dass sich die Auffassung des Jugendamtes zur Frage der Gefährdung einer Genitalverstümmelung im Falle einer Reise des Kindes D. nach Äthiopien auf Grund verschiedener Informationen geändert habe. Äthiopien gehöre zu einem Hochrisikoland hinsichtlich der Genitalverstümmelung von Mädchen. Eine Gefährdungslage sehe es, das Jugendamt, insbesondere darin, dass die Eltern ihre Kinder allein, wenn auch mit Flugbegleitung, nach Äthiopien reisen lassen wollten und vor Ort eine Begleitung der Kinder nicht sicherstellen könnten. Die vom Jugendamt vorgesehene Einverständniserklärung, wonach sich die Kindeseltern verpflichten sollten, von einer Ferienreise der Tochter nach Äthiopien abzusehen und eine jährliche ärztliche Bescheinigung über die körperliche Unversehrtheit der Tochter bis zu deren Volljährigkeit vorzulegen, sei von den Eltern nicht unterzeichnet worden. Mangels Mitwirkung der Eltern könne daher eine Gefährdung des Wohles des Kindes im Falle der Ausreise zu den Großeltern nach Addis Abeba nicht ausgeschlossen werden. Der internationale Sozialdienst habe mitgeteilt, dass seitens ihrer Organisation keine Kooperationsmöglichkeiten zur Überwachung des Aufenthaltes des Kindes in Addis Abeba bestehe.

Durch einstweilige Anordnung vom 4.9.2008 hat das Familiengericht den Eltern die elterliche Sorge für D. insoweit entzogen, als es um die Veranlassung oder Genehmigung von Reisen D. s in das Ausland geht. Für den Aufgabenkreis "Veranlassung oder Genehmigung von Reisen D. s in das Ausland" wurde eine Pflegschaft angeordnet und das La...

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