Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F. unterfällt dem Scheidungsstatut.
2. Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F. ist mit dem deutschen Ordre public vereinbar.
3. Der Anspruch auf Ersatz des immateriellen Schadens nach Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F. betrifft eine Folgesache i.S.d. §§ 93a, 623 ZPO. Das Unterliegen kann eine Kostenverteilung analog § 93a Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO rechtfertigen.
4. Zur Bemessung der Entschädigung nach Art. 143 Abs. 2 TürkZGB a.F.
Normenkette
EGBGB Art. 6, 17; Türk. ZGB a.F. Art. 143 Abs. 2; ZPO §§ 93a, 623
Verfahrensgang
AG Bruchsal (Aktenzeichen 3 F 130/98) |
Tenor
1. Auf die Berufung der Antragsgegnerin wird das Urteil des AG-FamG – Bruchsal vom 18.7.2000 – 3 F 130/98 – im Kostenpunkt aufgehoben und in Nr. 4 wie folgt abgeändert:
Der Antragsteller wird verurteilt, an die Antragsgegnerin 7.670 Euro zu bezahlen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz werden gegeneinander aufgehoben.
3. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Antragsteller.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien, beide türkische Staatsangehörige, haben am 25.4.1996 die Ehe miteinander geschlossen. Im November 1997 zog der Antragsteller aus der Ehewohnung aus; danach lebten die Parteien getrennt. Sie haben einen am 13.8.1994 geborenen Sohn, der bei der Antragsgegnerin lebt.
Die Antragsgegnerin war bis zum 29.4.1993 in erster Ehe verheiratet. Aus dieser Ehe stammt ein 1989 geborenes Kind, das ebenfalls im Haushalt der Antragsgegnerin ist.
Im Verbund mit der Scheidung hat die Antragsgegnerin Ersatz ihres immateriellen Schadens nach Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. begehrt. Den Antrag hat sie im Wesentlichen darauf gestützt, dass der Antragsteller aus der Ehe ausgebrochen sei, indem er ehebrecherische Beziehungen mit der Frau ihres Bruders aufgenommen habe und seither mit ihr zusammenlebe. Deren Ehe ist inzwischen geschieden. Aus der Verbindung des Antragstellers mit der Schwägerin der Antragsgegnerin ist inzwischen ein Kind hervorgegangen.
Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Antragsteller zu verurteilen, an sie einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Geldbetrag, mindestens aber 15.000 DM, zu bezahlen.
Der Antragsteller hat um Zurückweisung des Antrags gebeten.
Er hat sich auf den deutschen Ordre public und im Übrigen darauf berufen, dass die Antragsgegnerin schon während ihrer ersten Ehe die Beziehung zu ihm aufgenommen habe und auch jetzt, noch vor Scheidung der Ehe, eine außereheliche Beziehung habe.
Das AG hat die Ehe wegen Zerrüttung gem. Art. 134 Abs. 1 Türkisches ZGB a.F. geschieden, die elterliche Sorge der Antragsgegnerin übertragen und die beiderseitigen Versorgungen ausgeglichen. In Nr. 4 des Urteils hat es den Zahlungsantrag zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags beantragt sie, das angefochtene Urteil abzuändern und den Antragsgegner zu verurteilen, an sie eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Geldsumme, mindestens aber 15.000 DM, als moralische Genugtuung zu bezahlen.
Der Antragsteller verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Einzelheiten des Vortrags der Parteien in beiden Instanzen ergeben sich aus den Schriftsätzen und Sitzungsniederschriften.
Es wurde ein schriftliches Gutachten des Max-Planck-Instituts für Ausländisches und Internationales Privatrecht in H. über die Rechtspraxis türkischer und ggf. Gerichte anderer Staaten zu Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. eingeholt (II 125).
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist teilweise gerechtfertigt. Die Antragsgegnerin kann vom Antragsteller 7.670 Euro als Schadensersatz verlangen.
1. Zur Anwendung kommt türkisches materielles Recht.
Maßgebend ist das Scheidungsstatut des Art. 17 EGBGB. Es ist zugleich das Scheidungsfolgenstatut für das hier streitige Rechtsverhältnis. Denn dieses betrifft ausschließlich eine Folge der Scheidung und unterfällt keinem anderen im EGBGB geregelten Statut (Winkler/von Mohrenfels in MünchKomm/EGBGB, 3. Aufl., Art. 17 Rz. 136). Nach dem Scheidungsstatut gilt türkisches Recht als das gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 EGBGB für die allgemeinen Wirkungen der Ehe zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtshängigkeit des Scheidungsantrags maßgebende Recht. Denn beide Parteien sind türkische Staatsangehörige.
2. Der Anspruch beruht auf Art. 143 Abs. 2 Türkisches ZGB a.F. Hiernach kann der Richter dem schuldlosen Ehegatten eine bestimmte Geldsumme als Ersatz des immateriellen Schadens bewilligen, wenn die Umstände, die zur Scheidung geführt haben, die persönlichen Interessen des schuldlosen Ehegatten in schwerer Weise verletzt haben. Die Ersetzung dieser Bestimmung durch den im Wesentlichen inhaltsgleichen Art. 174 Abs. 2 Türkisches ZGB n.F. ist ohne Bedeutung. Denn nach Art. 1 des Gesetzes Nr. 4722 über das In-Kraft-Treten und die Anwendung des Türkischen Zivilgesetzbuchs sind auf vor dem 1.1.2002, dem Zeitpunkt des In-Kr...