Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an die Umschreibung der Tat bei Serienstraftaten. Begriff der Vermögensgefährdung
Leitsatz (amtlich)
›1. Ein Strafverfahren ist wegen Nichteinhaltung der Umgrenzungsfunktion einer Anklage von Amts wegen einzustellen, wenn bei Serienstraftaten die Teilakte nicht zureichend nach Tatzeit, Tatort, Ausführungsart und anderen individualisierbaren Merkmalen gekennzeichnet sind, obwohl bei Anklageerhebung hierzu die Möglichkeit bestand.
2. Eine Vermögensgefährdung i.S.d. § 266 StGB kann vorliegen, wenn ein im Schalterdienst eingesetzter Postbeamter zur Erreichung eines höheren Kreditrahmens unter Ausnutzung von Buchungsverzögerungen fiktive Einzahlungen und Auszahlungen auf sein Konto vornimmt.‹
Gründe
I. Dem Angeklagten war im Strafbefehl des Amtsgerichts vom 04.07.2001 vorgeworfen worden, als im Schalterdienst der deutschen Post eingesetzter Postsekretär aufgrund des ihm möglichen Zugriffs auf Kontodaten im Zeitraum vom 1.1.2000 bis 26.07.2000 insgesamt "64 fiktive Auszahlungen in der Gesamthöhe von 647.320,99 und 68 fiktive Einzahlungen in der Höhe von 641.679,84" auf sein eigenes Konto vorgenommen zu haben, um hierdurch einen größeren als den ihm gewährten Kreditrahmen von 12.000 DM zu erlangen. Außerdem wurden ihm zehn Fälle des Betruges zur Last gelegt.
Die Strafkammer sprach den Angeklagten unter Aufhebung einer anderslautenden Entscheidung des Amtsgerichts von diesen Vorwürfen frei, weil sie hinsichtlich des Vorwurfs der Untreue keinen i.S.d. § 266 StGB relevanten Nachteil der Deutschen Bundespost festzustellen vermochte und es bezüglich der Betrugshandlungen zumeist an einer Täuschungshandlung, jedenfalls aber an einem Schädigungsvorsatz fehle.
II. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1. Soweit dies den Vorwurf der Untreue betrifft, war das Verfahren wegen Vorliegens eines Verfahrenshindernisses einzustellen.
a. Der Strafbefehl des Amtsgerichts vom 4.7.2001 stellt keine wirksame Verfahrensgrundlage dar.
Wie eine Anklageschrift hat auch der Strafbefehl (vgl. OLG Düsseldorf wistra 1991, 32 ff.; BayObLG StV 2002, 356 f.) zunächst die Aufgabe, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist; sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll. Welche Angaben in der Anklageschrift zur Erfüllung ihrer Umgrenzungsfunktion erforderlich sind, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern richtet sich nach den Umständen des konkreten Einzelfalls. Darüber hinaus muss die Anklage im Wege ihrer Informationsfunktion den Angeklagten und die übrigen Verfahrensbeteiligten über die weiteren Einzelheiten des Anklagevorwurfs unterrichten, um ihnen Gelegenheit zu geben, ihr Prozessverhalten auf den erhobenen Vorwurf einzustellen und ihre Verfahrensrechte sachgerecht wahrzunehmen (vgl. Senat Beschluss vom 25.07.2001, 1 Ws 101/01; BGHSt 40, 44, 46).
Die Einhaltung der gebotenen Umgrenzungsfunktion einer Anklage wird nicht deshalb entbehrlich, weil dem Angeklagten Serienstraftaten zur Last liegen. Dies gilt auch dann, wenn die Anklagebehörde - wie hier - vom rechtlichen Ansatz einer natürlichen Handlungseinheit ausgeht. Auch insoweit müssen die einzelnen Teilakte - soweit durchführbar - möglichst genau nach Tatzeit, Tatort, Ausführungsart und anderen individualisierenden Merkmalen gekennzeichnet sein (OLG Zweibrücken MDR 1996, 956 f.; BGHR StPO § 200 Abs. 1 Satz 1 Tat 20 zur fortgesetzten Tat; vgl. auch OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12.03.2002, 3 Ws 3/00; einschr. BayObLG wistra 1991, 890 f.).
b. Dem genügt der Strafbefehl des Amtsgerichts vom 4.7.2001 nicht, denn die einzelnen Tathandlungen, welche in der Vornahme fiktiver Kontoeinzahlungen zu sehen wären, sind hierin weder nach Tatzeit noch nach der Höhe der jeweiligen Buchung beschrieben.
Eine solche nähere Bezeichnung wäre vorliegend ohne Gefahr von Lücken in der Strafverfolgung (vgl. BGHSt 48, 221 ff.; OLG Hamm wistra 2001, 236 ff.) aber ohne weiteres möglich und deshalb notwendig gewesen, weil ein Gefährdungsschaden darin liegen könnte, dass aufgrund der vom Angeklagten vorgenommenen Scheineinzahlungen auf sein Konto seine Liquidität in Wahrheit höher als in Wirklichkeit gewesen sein könnte und das damit verbundene Ausfallsrisiko letztendlich die Postbank zu tragen gehabt hätte. Insoweit ist die Fallgestaltung derjenigen der "Scheckreiterei" vergleichbar, bei welcher zur Erhaltung der Liquidität ständig Schecks von einem Ausgangskonto auf ein Bezugskonto eingezahlt und gleichzeitig vom Bezugskonto Überweisungen auf das Ausgangskonto vorgenommen werden, damit dort bei Einlösung des Schecks ein ausreichendes Guthaben vorhanden ist. In diesen Fällen hat der BGH das Vorliegen einer Vermögensgefährdung bejaht, weil zwis...