Rechtskräftig nach Rücknahme der Revision
Entscheidungsstichwort (Thema)
Schadensersatz aus zahnärztlicher Behandlung
Leitsatz (amtlich)
1. Vor einer Leitungsanästhesie für die Wurzelbehandlung eines Zahns im Unterkiefer ist jedenfalls über die Gefahr eines vorübergehenden Schädigung des nervus mandibularis/nervus alveolaris inferior aufzuklären.
2. Ein Entscheidungskonflikt ist nicht plausibel, wenn der Patient von der eingetretenen bzw. geltend gemachten Schädigung derart befangen ist, daß er sich in die damalige Entscheidungssituation nicht mehr zurückversetzen kann und deshalb zu einer beliebigen Darstellung des Entscheidungskonflikts bereit ist.
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 04. Juni 1997 – 3 O 272/95 – wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsrechtszuges.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 12.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung gleiche Sicherheit leistet.
Die Sicherheiten können auch durch schriftliche, unbefristete, selbstschuldnerische Bürgschaft eines in der Europäischen Union als Zoll- oder Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts erbracht werden.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten wegen fehlerhafter zahnärztlicher Behandlung und unzureichender Aufklärung auf Schadensersatz in Anspruch.
Am 26.07.1990 suchte die Klägerin den Beklagten, der seit 1977 ihr Zahnarzt war, wegen Schmerzen im linken Unterkieferbereich des Beklagten auf, der daraufhin eine Wurzelbehandlung des Zahnes Nr. 37 begann und zur örtlichen Betäubung eine Leitungsanästhesie anlegte. Beim Einstich der Injektionsnadel verspürte die Klägerin einen heftigen Schmerz und zuckte zurück. Der Beklagte applizierte mittels der Leitungsanästhesie den Rest des Anästhetikums und nahm anschließend eine zweite anästhesierende periphäre (buccale) Anästhesie vor, Anschließend befreite er die drei Wurzelkanäle vom erkrankten Nerven (Vitalexstirpation) und verabreichte wegen einer starken Blutung, derenwegen er die Wurzelbehandlung nicht zu Ende führen konnte, eine medikamentöse Einlage.
Durch die Injektion der Leitungsanästhesie wurde der Nervus mandibularis verletzt. Nachdem die Betäubungswirkung abgeklungen war, verblieb bei der Klägerin im Bereich der Unterlippe eine Pelzigkeit und Gefühllosigkeit. Ferner traten bei ihr eine Kieferklemme sowie eine schmerzhafte Lymphknotenschwellung auf und ferner eine Sehbehinderung am linken Auge.
Wegen dieser Beschwerden begab sich die Klägerin am 27.07.1990 erneut zum Beklagten, der eine Mandibularis-Parese als Folge der Leitungsanästhesie sowie eine Kieferklemme und eine schmerzhafte Lymphknotenschwellung feststellte. Am 02.08.1990 suchte die Klägerin wegen andauernder Schmerzen den Zahnarzt Dr. K. auf – der Beklagte hatte der Klägerin mitgeteilt, daß er in Urlaub gehen werde. Dr. K. führte in der Folgezeit die Wurzelbehandlung zu Ende.
Die Nervverletzung hat sich bei der Klägerin nicht zurückgebildet. Sie leidet noch heute unter der Parästhesie, u. a. auch unter Schmerzen im linken Kinnbereich bis zur Lippenmitte und zum Mundwinkel. Umfang der Schmerzen und Beeinträchtigungen sowie die Ursächlichkeit eines Teils der geklagten Schmerzen sind zwischen den Parteien streitig.
Mit Anwaltsschreiben vom 20.08.1991 wandte sich die Klägerin an die Gutachterkommission für Fragen Zahnärztlicher Hatung der Landesärztekammer Baden-Württemberg, die mit ihrem der Klägerin unter dem 26.08.1993 zugesandten Gutachten vom 23.07.1993 einen Behandlungsfehler des Beklagten verneinte.
Die Klägerin hat vorgetragen:
Die Verletzung des Nervus mandibularis beruhe auf einem Behandlungsfehler, weil der Beklagte bei der Leitungsanästhesie die Injektionsnadel zu weit vorne eingestochen habe.
Folge man dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G., wonach dem Beklagten ein Behandlungsfehler nicht unterlaufen sei, dann hafte der Beklagte wegen unterlassener Aufklärung, weil er sie nicht auf die Risiken einer Leitungsanästhesie hingewiesen habe. Wäre sie hierüber aufgeklärt worden, hätte sie die Leitungsanästhesie nicht vom Beklagten durchführen lassen, sondern hätte sich in eine Zahnklinik begeben, wo sie sich wesentlich sicherer gefühlt hätte.
Die Klägerin hat beantragt:
- Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, mindestens jedoch DM 12.000,00, nebst 4 % Zinsen aus DM 10.000,00 seit 24.10.1992 und aus DM 2.000,00 seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
- Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus der zahnärztlichen Behandlung vom 26.07.1990 zu bezahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat vorgetragen:
Er habe die notwendige Leitungsanästhesie nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst durchgeführt. Es liege auch kein Aufklärungsversäumnis vor, da das Risiko, das sich bei der Klägerin verwirklicht hat, derart extre...