Entscheidungsstichwort (Thema)
Verzögerung durch Gewährung einer Erklärungsfrist
Leitsatz (amtlich)
1. Solange nicht feststeht, ob verspäteter Tatsachenvortrag str. und beweisbedürftig ist, scheidet § 296 Abs. 1 ZPO aus. Erst eine konkrete Erwiderung des Gegners erlaubt die Prüfung, ob verspäteter Vortrag verzögert und deshalb zurückzuweisen ist. Wenn sich die von dem neuen Vorbringen überraschte Partei nicht sogleich substantiiert erklären kann, hat sie die Möglichkeit, die Bewilligung einer Erwiderungsfrist zu beantragen (§ 283 ZPO).
2. Die durch verspätetes Vorbringen veranlasste Notwendigkeit, eine Erklärungsfrist nach § 283 ZPO zu gewähren, bedeutet für sich keine Verzögerung des Rechtsstreits i.S.v. § 296 ZPO, die eine Zurückweisung rechtfertigen würde.
3. Die sofortige Zurückweisung ohne vorherige Anregung einer Schriftsatzfrist nach § 283 ZPO stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel i.S.d. § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO (Verstoß gegen die richterliche Aufklärungspflicht gem. § 139 ZPO) dar. Dieser Verfahrensfehler wird nicht dadurch geteilt, dass sich aus dem nachgereichten Vorbringen des Beklagten in der Berufungsinstanz ergibt, dass auch bei richtigem Vorgehen nach § 283 ZPO eine Zurückweisung der Klagebegründung als verspätet erfolgt wäre.
Normenkette
ZPO §§ 139, 283, 296 Abs. 1, § 538 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Mannheim (Urteil vom 07.02.2002; Aktenzeichen 11 O 488/01) |
Tenor
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Mannheim vom 7.2.2003 – 11 O 448/01 – und das erstinstanzliche Verfahren aufgehoben.
II. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten des Berufungsrechtszuges – an das LG Mannheim zurückverwiesen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Parteien streiten um rückständige Gebührenansprüche der Klägerin für einen (gekündigten) Mobilfunkanschluss des Beklagten. Die Klägerin erwirkte am 5.10.2001 einen Vollstreckungsbescheid des AG über eine Hauptforderung von 15.927,09 DM zzgl. Zinsen. Nach Einspruchseinlegung durch den Beklagten und Abgabe der Sache an das zuständige LG ließ die dortige Geschäftsstelle unter dem 31.10.2001 der Klägerin die Aufforderung zustellen, ihren Anspruch binnen zwei Wochen zu begründen. Die Klägerin kam dem nicht nach. Der Vorsitzende der Zivilkammer bestimmte sodann am 6.12.2001 Termin zur mündlichen Verhandlung über den Einspruch und die Hauptsache auf den 7.2.2002. Gleichzeitig setzte er der Klägerin gem. § 700 Abs. 5 ZPO nochmals Frist zur Klagebegründung bis 31.12.2001. Diese Verfügung wurde dem Klägervertreter am 17.12.2001 zugestellt. Im Termin am 7.2.2002 überreichte der Klägervertreter Schriftsatz vom 7.2.2002, in dem zur Klagebegründung auf einen in beglaubigter Fotokopie beigefügten Schriftsatz von Rechtsanwalt L. vom 22.11.2001 verwiesen wurde.
Die Klägerin hat beantragt, den Vollstreckungsbescheid vom 5.10.2001 aufrechtzuerhalten und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin weitere 34,46 Euro nebst 10 % Zinsen hieraus ab dem 18.9.2001 zu zahlen.
Der Beklagtenvertreter, der nach Rücksprache mit dem im Termin anwesenden Beklagten den Klageanspruch nach Grund und Höhe bestreiten ließ, hat beantragt, den Vollstreckungsbescheid aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Das LG hat die Klage durch das am Ende des Sitzungstages verkündete Urteil unter Aufhebung des Vollstreckungsbescheids abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die verspätete Klagebegründung dürfe mangels hinreichender Entschuldigung der Verspätung gem. §§ 700 Abs. 5, 697 Abs. 3 S. 2, 296 Abs. 1 ZPO nicht zugelassen werden. Eine Zulassung würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögern. Denn dem Beklagten, der in der mündlichen Verhandlung die geltend gemachten Forderungen dem Grunde und der Höhe nach bestritten habe, hätte zunächst ein Nachschubsrecht von mehreren Wochen zum Zwecke der Stellungnahme eingeräumt werden müssen. Anschließend hätte Beweis über die bestrittenen Behauptungen der Klägerin erhoben werden müssen.
Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Sie meint, das LG habe zu Unrecht ihrem „Wiedereinsetzungsgesuch” nicht stattgegeben.
Der Beklagte tritt dem Berufungsvorbringen entgegen und beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Die Klägerin habe ihre Säumnis nicht einmal ansatzweise entschuldigt. Wie das LG zu Recht angenommen habe, hätte eine Zulassung des verspäteten Klagevorbringens die Erledigung des Rechtsstreits auch verzögert; denn ihm hätte zunächst ein mehrwöchiges Nachschubsrecht gewährt werden müssen. Bis zur mündlichen Verhandlung habe er nicht beurteilen können, ob die verspätete Klagebegründung überhaupt einem substantiierten Bestreiten zugänglich gewesen sei. Er habe daher Grund und Höhe der geltend gemachten Forderungen auch nur rein vorsorglich bestreiten können.
Der Beklagte erhielt im Senatstermin Gelegenheit, eine Stellungnahme zur Klagebegründung bis 15.9.2003 nachzubringen. Wegen de...