Leitsatz (amtlich)

1. Das Maß der gebotenen Aufsicht bestimmt sich bei Minderjährigen nach deren Alter, Eigenart und Charakter. Dem Aufsichtspflichtigen ist hierbei ein gewisser Freiraum für vertretbare pädagogische Maßnahmen zu belassen.

2. Bei der Verletzung einer Amtspflicht zur Führung der Aufsicht über eine Person ist die Regelung des § 832 BGB auch nicht analog anwendbar; die Haftung richtet sich allein nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG.

 

Normenkette

BGB §§ 832, 839

 

Verfahrensgang

LG Heidelberg (Urteil vom 26.10.2005; Aktenzeichen 3 O 141/05)

 

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des LG Heidelberg vom 26.10.2005 - 1 O 141/05 - wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Kläger verlangen Schadensersatz wegen der Verletzung von Aufsichtspflichten durch Kindergärtnerinnen im Dienst der beklagten Gemeinde.

Die Kläger sind Eigentümer des Anwesens ..., das in seinem hinteren Bereich an das Gelände des von der Beklagten betriebenen Waldkindergartens grenzt und von diesem durch einen 1,80 m hohen Lamellenzaun abgetrennt ist. Am Nachmittag des 16.6.2004 spielte auf dem Kindergartengelände eine Gruppe von drei bis vier Kindern im Alter von vier und fünf Jahren; diese Kinder befanden sich auf der unteren Terrasse des Außengeländes, das von dem oberen Teil der Freifläche aus nicht einsehbar ist.

Die Kläger behaupten, dass diese Kinder auf Bäume geklettert und von dort aus Steine und Holzstücke auf das mit Acrylglas gedeckte Dach ihrer Pergola geworfen hätten; dabei seien durch die annährend faustgroßen Steine zwei 50 cm lange Risse in der Überdachung entstanden. Dieser Schaden sei von der beklagten Gemeinde zu ersetzen, weil die Erzieherinnen des Waldkindergartens ihre Aufsichtspflicht schuldhaft verletzt hätten. Nach Lage der Dinge hätten die Erzieherinnen stets Blickkontakt mit den Kindern halten und einschreiten müssen, als sie Steine aufgehoben und auf das Nachbargrundstück geworfen hätten. Geltend gemacht werden Reparaturkosten für die Überdachung i.H.v. 1.858,32 EUR, außerdem Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung (169,77 EUR) und eine Auslagenpauschale (25 EUR).

Die Kläger haben beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger von 2.053,09 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2004 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass die Risse im Dach der Pergola durch Steinwürfe entstanden seien, und leugnet eine Aufsichtspflichtverletzung. Am Nachmittag des 16.6.2004 seien vier Erzieherinnen auf der oberen Terrasse des Außengeländes tätig gewesen, wo sie 18 bis 20 Kinder beaufsichtigt hätten. Eine Erzieherin habe in Abständen von 20 bis 25 Minuten nach der unten spielenden Gruppe gesehen; dies sei bei Kindern im Alter von vier bis fünf Jahren ausreichend gewesen, zumal sich diese in keiner Weise auffällig verhalten hätten.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug genommen wird, hat das LG die Klage abgewiesen. Die Kläger hätten den Nachweis nicht geführt, dass der Schaden durch die angeblichen Steinwürfe verursacht worden sei.

Mit der Berufung verfolgen die Kläger ihr erstinstanzliches Begehren in vollem Umfang weiter. Sie beanstanden die Tatsachenfeststellung des LG.

Die Beklagte beantragt unter Verteidigung des angefochtenen Urteils, die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG Ersatz für die beschädigte Terrassenüberdachung zu leisten.

A. Die Zurückweisung der Berufung kann allerdings nicht damit begründet werden, dass die Kläger den Nachweis nicht geführt hätten, die Überdachung der Pergola sei durch Steinwürfe der Kinder beschädigt worden. Diese tatsächliche Feststellung des LG kann der Senat seiner Entscheidung nicht zugrunde legen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), weil sie, was die Berufungsbegründung zu Recht rügt, die angebotenen und zur Verfügung stehenden Beweismittel nicht ausschöpft und damit gegen das Gebot der vollständigen Würdigung des gesamten Prozessstoffes (§ 286 Abs. 1 ZPO) verstößt.

Das LG hat in diesem Zusammenhang ausgeführt, der vernommene Zeuge habe keine Angaben darüber machen können, ob die Risse wie behauptet entstanden seien, weil er den Vorgang nicht selbst beobachtet, sondern nur Geräusche gehört habe, die auf Steinwürfe hindeuteten. Hieraus und aus dem Umstand, dass bei Rückkehr der Kläger Steine auf dem Dach der Pergola gefunden und Risse im Acrylglas festgestellt worden seien, könne nicht mit der nötigen Sicherheit auf einen Ursachenzusammenhang geschlossen werden. Der Beweis eines ersten Anscheins komme den Klägern nicht zugute. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens sei nicht erforderlich, denn ob durch einen Steinwurf Risse dieser Art entstünden, hänge nicht nur von dem Gewicht des Steins, sondern auch von der individuellen Art des Wurfe...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge