Entscheidungsstichwort (Thema)
Arzthaftung für Mitteilung der Möglichkeit einer gravierenden Erbkrankheit eines Kindes - Chorea Huntington
Leitsatz (amtlich)
Stellt der Arzt eine meist im Erwachsenenalter ausbrechende schwere Nerven- krankheit mit hohem Vererbungsrisiko fest, darf er der Bitte des Patienten, dessen geschiedene Ehefrau wegen der bei dieser lebenden ehelichen Kinder zu informieren, nicht entsprechen, weil eine medizinische Sachaufklärung bei Minderjährigen in Deutschland nicht statthaft ist, so dass sich für die Mutter aus der belastenden Information keinerlei Handlungsoption ergibt.
Normenkette
BGB §§ 253, 823
Verfahrensgang
LG Bad Kreuznach (Aktenzeichen 3 O 306/11) |
Tenor
Unter Aufhebung des Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses vom 12.12.2011 wird das Verfahren an das Ausgangsgericht zu neuer Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Die Antragstellerin begehrt Prozesskostenhilfe für eine Schadensersatz- und Schmerzensgeldklage. Sie lastet dem Anspruchsgegner, Oberarzt in einer psychiatrischen Klinik, an, ihr auf Veranlassung ihres geschiedenen Ehemannes mitgeteilt zu haben, dass bei diesem Chorea Huntington, eine Nervenkrankheit mit hoher Vererbungswahrscheinlichkeit diagnostiziert worden war. Der geschiedene Ehemann sah insoweit ein Informationsbedürfnis der Antragstellerin mit Blickrichtung auf die beiden aus der Ehe 1994 und 1999 hervorgegangenen Kinder, die bei der Antragstellerin leben. Der Arzt soll die Antragstellerin auf das hohe Vererbungsrisiko, die Unheilbarkeit der Erkrankung hingewiesen und zu einer Blutuntersuchung beider Kinder geraten haben. Das LG hat den Prozesskostenhilfeantrag mangels Erfolgsaussicht abgelehnt.
II. Die zulässige Beschwerde hat einen vorläufigen Erfolg. Die in der angefochtenen Entscheidung mitgeteilten Gründe tragen die Zurückweisung des Prozesskosten- hilfeantrags nicht.
Der rechtliche Ausgangspunkt des LG ist allerdings nicht zu beanstanden. Richtig wird gesehen, dass zumindest § 823 Abs. 1 BGB als Anspruchsgrundlage für das Begehren in Betracht zu ziehen ist.
Der Senat vermag dem LG aber nicht darin zu folgen, dass dem Anspruchsgegner gegenüber der Anspruchstellerin eine Informationspflicht oblag. Woraus sich die Aufklärungspflicht ergeben soll, teilt das LG nicht mit. Der Arzt stand in keinem Behandlungs- oder sonstigen Vertragsverhältnis zu der Anspruchstellerin und deren minderjährigen Kindern. Allein der Wunsch des Vaters zur Aufklärung ergibt keine rechtliche Befugnis des Beklagten.
Die Anspruchstellerin konnte aus der Mitteilung der Erkrankung ihres geschiedenen Ehemannes und der daraus erwachsenden Gefahr einer entsprechenden Erkrankung ihrer Kinder keine Handlungsoptionen ableiten. Die Krankheit ist - nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand - unheilbar. Aufgrund der Gesetzeslage in Deutschland ist es der Mutter nicht gestattet, durch Untersuchungen der Kinder Gewissheit dahin zu erlangen, ob die Krankheit latent im Erbgut der Kinder angelegt ist.
Der Beklagte hat auch nicht vorgetragen, dass andere zwingende Gründe als der Wunsch des Kindesvaters vorlagen, seine geschieden Ehefrau zu informieren. Ob dies überhaupt und in diesem Zeitpunkt sinnvoll war, musste der Beklagte in eigener Verantwortung prüfen. Dass eine solche Information geeignet ist, erhebliche Ängste auszulösen, ohne Chance diese Ängste abzubauen, musste sich dem Beklagten aufdrängen. Offensichtlich hat er diese Frage aber nicht einmal geprüft oder mit einem anderen Psychologen besprochen. Die Alternative war also nicht - wie offenbar das LG meint - die Information der Anspruchstellerin auf den Hinweis zu erstrecken, dass eine Untersuchung minderjähriger Kinder in Deutschland derzeit nicht erlaubt ist, sondern die Information zu diesem Zeitpunkt gänzlich zu unterlassen bzw. dem Kindesvater anzuraten, den Zeitpunkt und die Form der Information zunächst mit einem (Kinder-) Psychologen und ggf. dem Jugendamt zu besprechen.
Die Überlegung des LG, es fehle an einer gesetzlichen oder ethischen Verpflichtung, die Anspruchstellerin erst bei Volljährigkeit der Kinder zu informieren, ist vom rechtlichen Ausgangspunkt des § 823 Abs. 1 BGB untauglich, eine Pflichtverletzung des Beklagten zu verneinen. Es ist der Beklagte, der eine Rechtfertigung für sein Handeln, nämlich die Aufklärung über den Gendefekt, bedarf, wenn dies eine potentielle Gesundheitsschädigung eines Dritten in sich trägt. Daran fehlt es.
Es kommt auch nicht darauf an, ob die spätere Information bei Volljährigkeit der Kinder überhaupt Aufgabe des Beklagten war und ob eine entsprechende Fristenüberwachung hätte verlangt werden können. Es ist nicht erkennbar, dass er die entsprechende Informationspflicht nicht hätte bei seinem Patienten, dem Kindesvater, belassen können.
Damit liegt eine rechtwidrige Handlung des Beklagten allein durch die Information der An...