Leitsatz (amtlich)
Einer Verurteilung nach §§ 4 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 StVO i. V. m. Nrn. 6.1, 6.2 (ab 01.01.2002 Nrn. 12.5, 12.6) BKatV ist der an der Messlinie mittels einer Videoabstandsmessanlage (VAMA) festgestellte Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug zu Grunde zu legen, wenn feststeht, dass der Betroffene auch über eine Strecke von 250 m - 300 m vor der Messlinie den Gefährdungsabstand schuldhaft unterschritten hatte. Geringfügige, nach der Lebenserfahrung regelmäßig auftretende, mit keinem der eingesetzten Messverfahren exakt fassbare und deshalb nie ausschließbare Abstandsschwankungen sind unbeachtlich.
Verfahrensgang
AG Wittlich (Entscheidung vom 14.12.2001) |
Tenor
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittlich vom 14. Dezember 2001 wird auf ihre Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht Wittlich hat die Betroffene am 14. Dezember 2001 wegen vorsätzlicher Unterschreitung des Sicherheitsabstandes um weniger als 2/10 des halben Tachowertes bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h zu einer Geldbuße von 200,00 DM und einem einmonatigen Fahrverbot verurteilt.
Dagegen wendet sie sich mit der form- und fristgerecht eingelegten sowie begründeten Rechtsbeschwerde. Sie rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Das Rechtsmittel ist mit der sich aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO ergebenden Kostenfolge gemäß §§ 79 Abs. 3 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.
I.
Verfahrensrügen:
1.
Die fehlende richterliche Unterschrift auf dem Hauptverhandlungsprotokoll wäre kein die Urteilsaufhebung begründender Verfahrensfehler, sondern hätte lediglich zur Folge, dass die Urteilzustellung unwirksam gewesen wäre ( § 273 Abs. 4 StPO). Im Übrigen trägt das Protokoll vom 14. Dezember 2001 unter dem Fertigstellungsvermerk die Unterschrift des Richters.
2.
Das aus Rubrum, Tenor und Entscheidungsgründen bestehende schriftliche Urteil (§§ 267, 275 StPO) ist vom Richter unterschrieben. Das Fehlen einer Unterschrift auf der zum Zwecke der mündlichen Urteilsverkündung niedergeschriebenen Urteilsformel (§§ 260 Abs. 4, 268 Abs. 2 StPO) ist revisionsrechtlich irrelevant.
3.
Die Rüge, die im schriftlichen Urteil wiedergegebenen Zeitmessdaten (UA. S. 8) seien einem nicht zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemachten "Abdruck" entnommen, weshalb ein Verstoß gegen § 261 StPO vorliege, dringt nicht durch.
Sie entspricht bereits nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 S. 2 StPO, weil der "Abdruck" nicht näher beschrieben, insbesondere sein Inhalt nicht mitgeteilt wird und somit allein anhand der Revisionsbegründung nicht geprüft werden kann, ob überhaupt ein Zusammenhang mit den tatrichterlichen Feststellungen besteht.
Die Rüge wäre allerdings auch unbegründet.
Ausweislich der Urteilsgründe wurde die der Betroffenen zur Last gelegte Tat mittels einer Videoabstandsmessanlage (VAMA) mit integrierter, geeichter Digitaluhr (JVC CG-P50 E, sog. JVC-Piller) festgestellt. Die entsprechende Videoaufzeichnung mit den automatisch und fortlaufend eingeblendeten Zeitmesswerten wurde ausweislich des Hauptverhandlungsprotokolls in Augenschein genommen. Zur Feststellung der in den Urteilsgründen wiedergegeben Zeitmesswerte genügen ein Bildschirm und ein handelsübliches Abspielgerät mit den Funktionen Zeitlupe, Standbild und Einzelbildfortschaltung. Die aus diesen Werten ermittelten Geschwindigkeiten sind Ergebnisse einfacher Rechenoperationen.
II.
Sachrüge:
Der Erörterung bedarf nur die Frage, ob der Tatrichter zutreffend die Voraussetzungen der Nr. 6.1.4 der Tabelle 2, Buchstabe a) zu Nr. 6 des zur Tatzeit (9. Mai 2001) geltenden Bußgeldkataloges (Unterschreitung von 2/10 des halben Tachowertes bei einer Geschwindigkeit von mehr als 100 km/h) angenommen hat.
Dies ist zu bejahen.
Nach §§ 4 Abs. 1 S. 1, 49 Abs. 1 Nr. 4 handelt ordnungswidrig, wer als Führer eines Kraftfahrzeuges keinen ausreichenden Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Fahrzeug einhält. Als Faustregel für den außerörtlichen Verkehr gilt der "halbe Tachowert", d. h. die Strecke, die ein Fahrzeug in 1,8 Sek. zurücklegt. Ordnungswidriges Verhalten liegt nach der Rechtsprechung jedenfalls dann vor, wenn der 1,5-Sek.-Abstand unterschritten wird. Geringfügige Unterschreitungen des Sicherheitsabstandes oder Verstöße bei geringen Geschwindigkeiten werden allerdings in der Praxis entweder überhaupt nicht verfolgt oder mit einer Verwarnung (Nr. 7 der Anlage 3 zur VerwarnVwV) geahndet.
Die Verhängung eines Bußgeldes oder gar eines Fahrverbots kommt nur bei einem gravierenden Fehlverhalten in Betracht. Ein solches liegt vor, wenn der Gefährdungsabstand unterschritten wird, den der Verordnungsgeber in der BKatV mit 50 % des halben Tachowertes (umgerechnet 0,9 Sek.) angesetzt hat. Beträgt der Abstand bei einer Geschwindigkeit vom mehr als 100 km/h weniger als 2/10 des halben Tachowertes (umgerechnet 0,36 Sek.), ist wegen der sehr hohen Gefährlichkeit des Verstoßes in der Regel ein Bußgeld von 200,00 DM und ein einmonatiges Fahrverbot a...