Leitsatz (amtlich)
Keine Arzthaftung bei nicht leitlinienkonformer, aber in der Fachliteratur als vertretbar eingeschätzter Dosierung von Celestan® (Wirkstoff: Betamethason) zur Induktion der fetalen Lungenreife bei Zwillingsschwangerschaft mit Frühgeburt.
Normenkette
BGB §§ 249, 253, 276, 280, 611; ZPO § 286
Verfahrensgang
LG Trier (Aktenzeichen 4 O 311/11) |
Tenor
Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig davon überzeugt ist, dass sie offensichtlich ohne Erfolgsaussicht ist, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ein Urteil erfordern und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Im Einzelnen ist zur Sach- und Rechtslage zu bemerken:
Gründe
1. Der nach einer Zwillingsschwangerschaft vorzeitig am 26.5.2004 durch Kaiserschnitt geborene Kläger, dessen Geburtstermin für den 15.8.2004 berechnet worden war, begehrt, gesetzlich vertreten durch seine Eltern, von den drei beklagten Gynäkologen materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie die Feststellung der künftigen Ersatzpflicht für Fehler und Versäumnisse bei der Schwangerschaftsbetreuung im Mai 2004.
Soweit für das Berufungsverfahren noch von Bedeutung hat er gerügt, statt der erforderlichen 2 × 12 mg Celestan® (Wirkstoff: Betamethason) seien seiner Mutter am 2. und 3.5. sowie am 12. und 13.5.2004 lediglich 2 X 8 mg Celestan® appliziert worden. Allein die höhere Dosierung stehe in Einklang mit den bereits 2004 maßgeblichen Leitlinien.
Als das weitere Geschehen der Kontrolle der Beklagten entglitten sei, hätten sie versäumt, ihn in eine Klinik für die Maximalversorgung derartiger Problemschwangerschaften zu verlegen. Zu seiner Hirnschädigung mit multiplen Ausfällen und Behinderungen wäre es bei pflichtgemäßem Handeln nicht gekommen. Dazu hat der Kläger sich auf ein Privatgutachten des Chefarztes der Gynäkologie des Klinikums W., Professor Dr. H., gestützt.
Die Beklagten sind dem entgegen getreten und haben insbesondere darauf verwiesen, dass in einem 2003 erschienenen Lehrbuch für Geburtshelfer die von ihnen gewählte Dosierung von 2 X 8 mg Celestan® als ausreichende RDS - Prophylaxe bezeichnet ist.
2. Das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, hat Sachverständigenbeweis erhoben und den Gutachter mündlich angehört. Hiernach hat das LG die Klage mit der Begründung abgewiesen, den Beklagten sei mit der vermeintlichen Unterdosierung des Medikaments Celestan® kein Behandlungsfehler unterlaufen, weil sie sich insoweit an die Empfehlung eines aktuellen und renommierten Wissenschaftlers gehalten hätten. Auf die hinreichende Sachkunde des Krankenhauses, in das die Kindesmutter verlegt worden sei, hätten die Beklagten vertrauen dürfen.
3. Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung. Er hält an den erstinstanzlichen Anträgen fest und bittet hilfsweise um Zurückverweisung an das LG Trier zur weiteren Sachaufklärung. Der Rechtsmittelführer wiederholt, vertieft und ergänzt sein erstinstanzliches Vorbringen nach Maßgabe der Berufungsbegründung vom 15.9.2014 und dem Schriftsatz vom 31.10.2014. Auf Beides wird wegen der Einzelheiten verwiesen.
Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.
4. Das zulässige Rechtsmittel ist ohne Aussicht auf Erfolg.
a. Zur Bedeutung von Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften hat der BGH in seinem Urteil vom 5.4.2014 (VI ZR 382/12) unter anderem bemerkt:
"... Leitlinien fassen nicht nur das zusammen, was bereits zuvor medizinischer Standard war. Handlungsanweisungen in Leitlinien ärztlicher Fachgremien oder Verbände dürfen nicht unbesehen mit dem medizinischen Standard gleichgesetzt werden. Dies gilt in besonderem Maße für Leitlinien, die erst nach der zu beurteilenden medizinischen Behandlung veröffentlicht worden sind. Leitlinien ersetzen kein Sachverständigengutachten. Zwar können sie im Einzelfall den medizinischen Standard für den Zeitpunkt ihres Erlasses zutreffend beschreiben; sie können aber auch Standards ärztlicher Behandlung fortentwickeln oder ihrerseits veralten (vgl. zum Ganzen: Senat, Urteil vom 15.2.2000 - VI ZR 48/99, BGHZ 144, 1, 9; Beschlüsse vom 28.3.2008 - VI ZR 57/07, GesR 2008, 361; vom 7.2.2011 - VI ZR 269/09, VersR 2011, 1202; Katzenmeier in Laufs/Katzenmeier/Lipp, aaO Rn. 9 f.; ders., LMK 2012, 327738; Hart in Rieger/Dahm/Katzenmeier/Steinhilper, HK-AKM, KZA 530, Rn. 5, 16 ff. [Stand: Februar 2011]; Wenzel/Müller, aaO Rn. 1483 ff.; Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 12. Aufl., Rn. 157 ff., 174; Geiß/Greiner, aaO, B Rn. 2 ff.; Frahm/Nixdorf/Walter, Arzthaftungsrecht, 5. Aufl., Rn. 89; Glanzmann in Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Gesamtes Medizinrecht, § 287 ZPO Rn. 25; Dressler, FS Geiß, S. 379, 380 f.; Stöhr, FS Hirsch, S. 431 ff.; Martis/Winkhart-Martis, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., B 41 ff., 72, jeweils mwN)... "
In Kenntnis des vom Kläger in den Focus gerückten Expertenstre...