Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör bei Klage eines ersichtlich nicht Prozessfähigen; Kostenniederschlagung wegen entschuldigten Rechtsirrtums
Leitsatz (amtlich)
1. Die Erinnerung gegen den gerichtlichen Kostenansatz ist nicht fristgebunden. Erinnerungs- und beschwerdebefugt ist auch der Rechtsnachfolger des Kostenschuldners, solange die Beschwer fortbesteht.
2. Wird ein von der Partei beim VG gestellter Antrag an ein Gericht verwiesen, bei dem Anwaltszwang besteht (§ 78 ZPO) kann der Antragsteller seine Klage dort selbst zurücknehmen. Die persönlich verfassten Schriftsätze hat das Gericht zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Enthalten sie eine wirksame Klagerücknahme erscheint die gleichwohl erfolgte Terminierung trotz fehlenden Kostenvorschusses willkürlich.
3. Dass das Gericht der Hauptsache die Klagerücknahme nicht beachtet, den Prozess fortgesetzt und durch Urteil entschieden hat, hindert den mit der Erinnerung befassten Richter nicht, wegen der wirksamen Klagerücknahme von einer Gebührenermäßigung nach Nr. 1211 KV GKG auszugehen.
4. Ist die Klage eines greifbar Prozessunfähigen ganz offenkundig Zeichen seiner psychischen Erkrankung, kann die Nichterhebung von Kosten nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG auch dann geboten sein, wenn das Begehren aus formalen Gründen von seinem Ehepartner mitunterzeichnet wurde in der erkennbaren Absicht Auseinandersetzungen mit dem Erkrankten aus dem Weg zu gehen.
5. Will ein erkennbar psychisch Erkrankter seit über 50 Jahren einen ersichtlich verjährten Schadensersatzanspruch durchsetzen, kann es geboten sein, ungeachtet seiner geäußerten Fehlvorstellungen zum Umfang dieses Anspruchs nur den Mindeststreitwert nach dem GKG zugrunde zu legen.
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1 S. 2, Art. 6 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1; ZPO §§ 3, 42, 56, 78, 269; GKG §§ 12, 21 Abs. 1 S. 3, § 66; GVG §§ 17a, 71; GKVerz Nrn. 1210-1211
Verfahrensgang
LG Koblenz (Beschluss vom 31.01.2012; Aktenzeichen 1 O 279/08) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Helmut Ludwig P. werden der Beschluss der 1. Zivilkammer des LG Koblenz vom 31.1.2012 und der Gerichtskostenansatz der Landesjustizkasse vom 3.12.2008 (2608220031551) aufgehoben.
2. Die Beschwerdeentscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 66 Abs. 8 GKG).
Gründe
I. Die Eheleute P. hatten sich im Mai 2008 mit einer "Klage auf Schadensersatz" an das VG Koblenz gewandt. Sie lasteten der erstbeklagten Fachklinik für Nervenheilkunde und dem Land Rheinland - Pfalz (Zweitbeklagter) an, den Anspruchsteller Ende 1959 rechtswidrig der Freiheit beraubt zu haben. Er war seinerzeit zur Untersuchung seines Geisteszustandes in der Landesnervenklinik A. untergebracht (§ 81 StPO).
Für den Anspruchsteller und jetzigen Erinnerungsführer teilte dessen Betreuerin dem VG unter dem 4.6.2008 mit, dass die Klage ohne die erforderliche Genehmigung erhoben sei und zurückgenommen werde.
Das scheinbar von der Ehefrau als Anspruchstellerin weiterbetriebene Verfahren war schon bei dem VG Koblenz durch umfangreiche Schriftsätze gekennzeichnet, die mehrmals neben Befangenheitsanträgen auch erhebliche Vorwürfe gegen die zuständigen Richter enthielten (Falschbeurkundung im Amt, Rechtsbeugung etc.). Alleiniger Verfasser dieser Schriftsätze ist ersichtlich der seinerzeit unter Betreuung stehende Erinnerungsführer. Sämtliche Eingaben im Ausgangsverfahren tragen allerdings auch die Unterschrift der Ehefrau.
Die Sache wurde vom VG als Amtshaftungsklage an die 1. Zivilkammer des LG Koblenz verwiesen. Deren Vorsitzender wies auf den beim LG bestehenden Anwaltszwang hin (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das blieb ebenso ohne Ergebnis wie die Anforderung eines Gerichtskostenvorschusses nach einem Streitwert von 10.000 EUR.
Nachdem auch das LG schriftlich mit massiven Vorwürfen überhäuft worden war, bestimmte der Kammervorsitzende trotz des fehlenden Kostenvorschusses im September 2008 frühen ersten Termin unter erneutem Hinweis auf den Anwaltszwang.
Auf ein wiederum von beiden Eheleuten unterzeichnetes Schreiben der Anspruchsteller vom 23.9.2008 reagierte der Kammervorsitzende dagegen nicht. In diesem Schreiben heißt es auszugsweise:
"In angeblicher Sache ... haben wir nach Gesetz und Verfassung vorzutragen:
Es liegt keine Klageantrage von uns Eheleute oder von mir als Ehefrau vor, welche Sie berechtigt Terminsanberaumung vorzunehmen oder besser gesagt anzuberaumen. Also fehlt eine Klagevoraussetzung. Wir bitten Sie daher diese Terminsanberaumung unverzüglich zurückzunehmen, falls dieses nicht erfolgt, müssen wir gegen Sie vorgehen."
Durch ein weiteres, vom 22.10.2008 datierendes Schreiben beanstandeten die Eheleute die unterbliebene Reaktion auf ihr Schreiben vom 23.9.2008 und wiesen darauf hin, Art. 103 Abs. 1 GG sei verletzt, wenn ihr Anliegen weiter ignoriert werde. Außerdem heißt es in dem Schreiben vom 22.10.2008:
"Eine Klage vor dem LG Koblenz ... ist ja erst zulässig, wenn diese Klage von einem Rechtsanwalt unterzeichnet und beim LG Koblenz eingereicht wird. Dann muss das LG Kob...