Leitsatz (amtlich)
1. Die Verlängerung einer verlängerbaren gesetzlichen Frist (z.B. der Berufungs-/Beschwerdebegründungsfrist) ohne Antrag ist wirksam.
2. Die Abänderung einer vom Unterhaltspflichtigen einseitig erstellten Jugendamtsurkunde setzt mangels Vorliegens einer solchen keine Änderung der Geschäftsgrundlage voraus. Während der Unterhaltsberechtigte daher ohne Bindung an die Jugendamtsurkunde den ihm materiell-rechtlich zustehenden Unterhalt verlangen kann, ist im Rahmen eines Abänderungsbegehrens durch den Unterhaltspflichtigen hingegen die Wirkung eines in der Urkunde liegenden Schuldanerkenntnisses zu berücksichtigen. Hiervon kann sich der Unterhaltspflichtige in Bezug auf zukünftigen laufenden Unterhalt daher nur dann lösen, wenn sich eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Umstände, des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu seinen Gunsten auf die Höhe seiner titulierten Unterhaltspflicht auswirken.
Normenkette
BGB §§ 313, 781, 1601; FamFG § 117 Abs. 1 S. 4, § 239; ZPO § 224 Abs. 2, § 520 Abs. 2 Sätze 2-3
Verfahrensgang
AG Montabaur (Aktenzeichen 3 F 207/19) |
Tenor
Der Antrag des Antragstellers und Beschwerdeführers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für seine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Montabaur vom 01.07.2020 wird zurückgewiesen.
Gründe
Dem Rechtsmittel des Antragstellers können keine hinreichenden Erfolgsaussichten beigemessen werden.
1. Die Beschwerde ist zwar zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
Letzteres gilt unbeschadet des Umstands, dass bei Eingang der Beschwerdebegründung am 23.09.2020 die mit Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 06.07.2020 beginnende zweimonatige Rechtsmittelbegründungsfrist bereits seit einigen Wochen abgelaufen war. Denn mit Verfügung des Senatsvorsitzenden vom 14.08.2020 wurde dem Rechtsmittelführer mitgeteilt, dass der Begründung der Beschwerde bis zum 24.09.2020 entgegen gesehen werde. Zwar sieht das Gesetz eine solche Fristverlängerung ohne Antrag nicht vor (vgl. BVerwG Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 47); sie ist jedoch gleichwohl wirksam (vgl. Musielak/Voit/Stadler ZPO 18. Aufl. 2021 § 224 Rn. 3 m.w.Nw.).
2. In der Sache hat das Familiengericht auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens die Anträge des Antragstellers im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
a) Der Antragsteller hat die Voraussetzungen für eine Abänderung der Jugendamtsurkunde nicht ausreichend dargetan.
Zwar ist hier - entgegen den Ausführungen des Familiengerichts - nicht auf § 238 FamFG abzustellen. Denn es liegt eine vollstreckbare Jugendamtsurkunde über den Mindestkindesunterhalt vor. Diesbezüglich findet § 239 FamFG Anwendung. Auch nach dieser Vorschrift setzt die Zulässigkeit eines Abänderungsantrags allerdings voraus, dass der Abänderungsantragsteller Tatsachen vorträgt, welche die begehrte Abänderung - hier das Entfallen der Unterhaltspflicht - rechtfertigen, § 239 Abs. 1 Satz 2 FamFG.
Zutreffend führt die Beschwerde sodann zwar aus, dass bei einer einseitigen Unterwerfung, wie dies bei einer Jugendamtsurkunde häufig der Fall ist und nach den Darlegungen des Antragstellers auch vorliegend der Fall war, eine materiell-rechtliche Bindung an eine Geschäftsgrundlage mangels Vorliegens einer solchen nicht in Betracht kommt. Zu einer freien Abänderbarkeit führt dies jedoch nur für Beteiligte, die - wie etwa minderjährige Kinder - an der Errichtung der Urkunde nicht mitgewirkt haben; sie können ohne Bindung an die Urkunde einen höheren Unterhalt verlangen (vgl. BGH FamRZ 2011, 1041, Rn. 25). Verlangt hingegen - wie vorliegend der Antragsteller - der Unterhaltsschuldner eine Herabsetzung seiner Unterhaltsschuld, ist die Bindungswirkung des in der einseitig erstellten Urkunde liegenden Schuldanerkenntnisses nach § 781 BGB zu beachten. Hiervon kann sich der Unterhaltspflichtige auch in Bezug auf zukünftigen laufenden Unterhalt nur dann lösen, wenn sich eine nachträgliche Änderung der tatsächlichen Umstände, des Gesetzes oder der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu seinen Gunsten auf die Höhe seiner titulierten Unterhaltspflicht auswirken (vgl. BGH aaO. Rn. 26). Letzteres hat der Antragsteller nicht aufgezeigt.
Nach seinen eigenen Angaben bezog der Antragsteller zum Zeitpunkt der Erstellung der Jugendamtsurkunde Leistungen nach SGB II, wenige Monate danach nahm er eine Erwerbstätigkeit bei Amazon auf, aus welcher er ausweislich der vorgelegten Einkommensnachweise knapp 1.300 EUR/mtl. (netto) erzielte. Bereits damals hat er nach seinen Angaben Verbindlichkeiten in Höhe von rund 876 EUR/mtl. bedient (S. 2 der Beschwerdebegründung). In den Folgejahren erzielte er mindestens das vorstehend genannte Erwerbseinkommen; nach den unstreitigen Feststellungen des Familiengerichts waren es im Jahr 2019 sogar 1.500 EUR/mtl. (netto), während sich seine Verbindlichkeiten - unabhängig von der Frage, ob darin enthaltene Neuschulden überhaupt gemäß § 1603 Abs. 2 BGB anzuerkennen wären - auf derzeit rund ...