Verfahrensgang
LG Zweibrücken (Entscheidung vom 05.06.1984; Aktenzeichen 6 Js 7461/83 - 1 KLs) |
LG Koblenz (Aktenzeichen 7 StVK 501/08) |
Tenor
1.
Die weitere Vollstreckung der durch Urteil der 1. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 5. Juni 1984 - 6 Js 7461/83 - 1 KLs - angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ist nicht aufgrund des seit dem 10. Mai 2010 endgültigen Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 für erledigt zu erklären.
2.
Es soll ein psychiatrisches Gutachten eines Sachverständigen zu der Frage eingeholt werden, ob und gegebenenfalls mit welcher Wahrscheinlichkeit welche rechtswidrigen Taten von dem Untergebrachten aufgrund seines Hanges weiterhin zu erwarten sind (§§ 463 Abs. 3 Satz 4 StPO, 67d Abs. 3 Satz 1 StGB).
Gfls. soll der Sachverständige sich auch zu folgenden Fragen äußern:
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Ist der Untergebrachte weiterhin therapiebedürftig?
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Welche sonstigen Maßnahmen sollten noch durchgeführt werden und/oder im Fall der Entlassung sichergestellt sein?
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Bestehen aus medizinischer Sicht Anhaltspunkte dafür, dass der Untergebrachte Vollzugslockerungen zur Flucht ausnutzen oder zu erneuten Straftaten missbrauchen wird?
Der Sachverständige soll von ihm für erforderlich erachtete medizinische Untersuchungen zum prognoserelevanten physischen Gesundheitszustand des Verurteilten selbst in Auftrag geben.
Gründe
Die weitere Vollstreckung der gegen den Verurteilten durch Urteil der 1. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 5. Juni 1984 - 6 Js 7461/83 - 1 KLs - angeordneten Unterbringung in der Sicherungsverwahrung, die nunmehr seit nahezu 20 Jahren vollstreckt wird, ist nicht bereits aufgrund des inzwischen endgültigen Kammerurteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. Dezember 2009 für erledigt zu erklären (I.). Das Beschwerdeverfahren ist durch Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens fortzuführen (II.).
I.
Der Senat sieht sich nicht daran gehindert, die Fortdauer der Unterbringung nach Maßgabe des § 67d Abs. 3 StGB über zehn Jahre hinaus fortdauern zu lassen, auch wenn diese Vorschrift erst durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl. I S. 160) mit Wirkung zum 31. Januar 1998, mithin nach den Anlasstaten und Erlass des dem Maßregelvollzug zugrunde liegenden Urteils vom 5. Juni 1984, in das Strafgesetzbuch aufgenommen worden ist und in der zur Zeit der Taten und des Urteilserlasses geltenden Fassung des § 67d StGB die Dauer der erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung selbst bei fortbestehender Gefährlichkeit des Untergebrachten auf zehn Jahre begrenzt war (§ 67d Abs.1 StGB a.F.). Art. 1a EGStGB sah nach Inkrafttreten des bezeichneten Gesetzes vom 26. Januar 1998 bis zum Jahr 2004 ausdrücklich vor, dass die Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB uneingeschränkt Anwendung findet. Demzufolge betraf der Wegfall der Zehnjahresgrenze auch Straftäter, die ihre Tat vor Verkündung und Inkrafttreten der Neufassung begangen hatten und vor diesem Zeitpunkt verurteilt worden waren.
Diese Regelung nach Art. 1a EGStGB findet ihre Fortsetzung in § 2 Abs. 6 StGB. Danach ist über Maßregeln der Besserung und Sicherung, zu denen gem. § 61 Nr. 3 StGB die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zählt, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Diese Vorschrift bezieht sich sowohl auf die Anordnung als auch auf die Vollstreckung der Maßregeln (vgl. BVerfG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BvR 2029/01 - Absatz-Nr. 182 m.w.N., BVerfGE 109, 133 ff. = NJW 2004, 739 ff.), so dass sie, da anders lautende Gesetzesbestimmungen fehlen, auch für die Entscheidung über die Fortdauer der Sicherungsverwahrung die Anwendung des zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechts bestimmt.
Der Senat hat zur Kenntnis genommen, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mit inzwischen endgültigem Kammerurteil vom 17. Dezember 2009 - Individualbeschwerde Nr. 19359/04 - (NStZ 2010, 263 ff. mit Bespr. Kinzig a.a.O. S. 233 ff.) in einem gleich gelagerten Fall, in dem Anordnung der Sicherungsverwahrung und Anlasstat ebenfalls zeitlich vor Inkrafttreten der Neufassung des § 67d Abs. 3 StGB lagen, die Fortdauer der Unterbringung über zehn Jahre hinaus als unvereinbar mit Artikel 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) angesehen hat. Der Gerichtshof verneint einen Kausalzusammenhang zwischen dem die Sicherungsverwahrung anordnenden Urteil des Tatgerichts und der Fortdauer der Maßregel über zehn Jahre hinaus, weil die Fortdauer nur durch die nachfolgende Gesetzesänderung im Jahr 1998 ermöglicht wurde. Damit fehlt dem Freiheitsentzug der in Betracht zu ziehende Rechtfertigungsgrund gem. § 5 Abs. 1 Satz 2 lit.a. EMRK (EGMR a.a.O. Ziff. 100, 105). Darüber hinaus bewertet der Gerichtshof die Sicherungsverwahrung als Strafe im Sinne von Art. 7 Abs. 1 der Konvention, die Verl...