Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2, § 1610
Verfahrensgang
AG Bingen am Rhein (Beschluss vom 29.11.2002; Aktenzeichen 8 F 498/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des AG – FamG – Bingen vom 29.11.2002 wird zurückgewiesen.
Gründe
Die 1988 geborene Klägerin begehrt von dem Beklagten Kindesunterhalt i.H.v. 114 % des Regelbetrages unter Abänderung eines gerichtlichen Vergleichs vom 20.3. 1996, wonach der Beklagte sich verpflichtete, ihr monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 500 DM zu zahlen. Ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat das FamG zurückgewiesen, soweit die Klägerin mehr als 100 % des Regelbetrages mit ihrer Klage verlangt. Zur Begründung ist ausgeführt, in der Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit durch den Beklagten liege unterhaltsrechtlich kein Verschulden, sodass die Klägerin nur den Mindesttabellenunterhalt beanspruchen könne. Insofern komme es nicht darauf an, dass der Beklagte früher einen Nettoverdienst aus abhängiger Beschäftigung gehabt habe, wonach er einen Unterhalt entspr. 114 % des Regelbetrages hätte zahlen müssen.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Zur Zahlung eines höheren Unterhalts als 100 % des Regelbetrags ist der Beklagte jedenfalls nicht leistungsfähig. Ihm könnte nur dann weiteres Einkommen fiktiv zugerechnet werden, wenn er seine abhängige Beschäftigung unterhaltsbezogen leichtfertig aufgegeben hätte.
Die Klägerin, die einen höheren Unterhalt als den Regelbetrag verlangt, hat ihre entspr. Bedürftigkeit darzulegen und zu beweisen. Zwar hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1.7.1998 den § 1610 Abs. 3 a.F. BGB aufgehoben, der bestimmte, dass der gesetzliche Bedarf eines ehelichen Kindes mindestens dem festgesetzten Regelbedarf eines nichtehelichen Kindes der entspr. Altersstufe entspricht. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers sollten die Regelbeträge jedoch weiterhin als Basiswerte der Unterhaltstabellen dienen. Wie der BGH in seiner Entscheidung vom 6.2.2002 (BGH FamRZ 2002, 1269) näher ausgeführt hat, ist weder durch die Möglichkeit des § 645 ZPO, den Unterhalt in einem vereinfachten Verfahren ohne weitere Darlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse auf das Eineinhalbfache des Regelbetrages festlegen zu lassen, noch durch die Bestimmung des § 1612b Abs. 5 BGB nunmehr ein Mindestunterhalt in einer von der früheren Übung abweichenden Höhe festgelegt. Vielmehr sollte das Kind nach dem Willen des Gesetzgebers weiterhin in Höhe des Regelbetrages von der Darlegungs- und Beweislast für seinen Bedarf und für die Leistungsfähigkeit seines Unterhaltsverpflichteten befreit sein. Wird aber darüber hinaus Unterhalt verlangt, ist es entspr. darlegungs- und beweispflichtig (Bamberger/Roth/Reinken, BGB, § 1610 Rz. 56). Vorliegend hat die Klägerin nicht behauptet, dass der Beklagte heute ein Einkommen erzielt, wonach er Unterhalt i.H.v. 114 % des Regelbetrages zahlen müsste.
Zwar entspricht es allgemeiner Auffassung, dass der Bedarf des Unterhaltsberechtigten und die Leistungsfähigkeit eines Unterhaltsschuldners sich nicht nur nach seinem tatsächlich erzielten Einkommen bemessen, sondern auch danach, was er bei gehöriger Anspannung seiner Fähigkeiten zu erzielen in der Lage wäre (BGH v. 31.5.2000 – XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358). Wegen seiner gesteigerten Unterhaltsverpflichtung ggü. einem minderjährigen Kind wird dem Unterhaltsverpflichteten fiktiv solches Einkommen zugerechnet, welches er bei zumutbarer Anstrengung zu erzielen in der Lage wäre. Jedoch hat der Senat bereits in seiner Entscheidung vom 18.11.2002 (9 WF 709/02) entschieden, dass die erhöhte Erwerbsobliegenheit nach § 1603 Abs. 2 BGB nur im Rahmen der Ermöglichung eines Unterhalts in Höhe des Regelbetrages besteht. Hieran wird festgehalten. Die den Bedarf prägende Lebensstellung des Kindes ist keine originäre, sondern abgleitet von den momentanen Einkommens- und Vermögensverhältnissen seiner Eltern. Fiktives Einkommen kann aber grundsätzlich nicht die Lebensverhältnisse prägen (BGH v. 31.5.2000 – XII ZR 119/98, FamRZ 2000, 1358 [1359]; OLG Bamberg FamRZ 1999, 883). Etwas anderes gilt nur dann, wenn dem Unterhaltsverpflichteten dieses Einkommen nur vorübergehend zur Verfügung gestanden und auch dieLebensverhältnisse des Unterhaltsberechtigten geprägt hat. Das ist hier jedoch nicht dargelegt, nachdem die Klägerin schon seit dem Jahr 2000 die 3. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle erreicht und nur einen Unterhalt unter der ersten Einkommensstufe der Tabelle hatte. Jedenfalls kann aber, worauf bereits das FamG zutreffend hingewiesen hat, die entspr. Leistungsfähigkeit des Beklagten nicht einfach deswegen unterstellt werden, weil er eine nichtselbstständige Tätigkeit aufgegeben hat, um sich selbstständig zu machen. Insofern müsste dem Unterhaltspflichtigen nämlich ein verantwortungsloses, zumindest leichtfertiges Verhalten zur Last gelegt werdenkönnen (vgl. OLG Hamm FamRZ 1997, 310; OLG Zweibrücken v. 30.9.1993 – 5 UF 75/92, FamRZ 1994, 1488). Hierfür ist aber die Klägerin zunächst darlegungs- und beweispflich...