Leitsatz (amtlich)

1. Die Lebensstellung des nach § 1615l BGB unterhaltsberechtigten nichtehelichen Elternteils bestimmt sich nach dem zum Zeitpunkt der Geburt nachhaltig erzielten Einkommen. Dieses ist aber nicht unabänderlich auf den Zeitpunkt der Geburt des Kindes festgeschrieben, so dass sich beispielsweise durch einen ohne die Geburt zwischenzeitlich erfolgten Abschluss einer Ausbildung ein höherer Bedarf ergeben kann (Anschluss an BGH FamRZ 2015, 1369 = BGHZ 205, 341). Von einem hypothetischen Abschluss der Ausbildung kann aber nicht ausgegangen werden, wenn diese vorgeburtlich längere Zeit nicht mehr konsequent betrieben wurde.

2. Vorgeburtliche Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Inanspruchnahme staatlicher Transferleistungen können gegen ein nachhaltig gesichertes Erwerbseinkommen sprechen.

3. Trotz bestehender Arbeitslosigkeit der Mutter zum Zeitpunkt der Geburt, ist auf ein früher erzieltes Erwerbseinkommen abzustellen, wenn aufgrund der gesamten Umstände mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass die Mutter diese Einkünfte ohne Schwangerschaft und Geburt auch im Unterhaltszeitraum erzielt hätte.

4. Steht die Aufgabe der früheren unbefristeten Tätigkeit außerhalb der Probezeit im Zusammenhang mit dem Umzug zum Kindesvater und dem damit verbundenen gemeinsamen Kinderwunsch ist jedenfalls bei einer Aufgabe der Erwerbstätigkeit weniger als ein Jahr vor dem Eintritt der Schwangerschaft noch von einem nachhaltig erzielten Einkommen der Mutter auszugehen.

5. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie stehen der Annahme eines nachhaltig gesicherten Einkommens aus einer nicht- bzw. geringqualifizierten Tätigkeit nicht entgegen, weil ein etwaiger Arbeitsplatzverlust durch das im Zuge der Corona-Pandemie zu verzeichnende Entstehen einer Vielzahl neuer Arbeitsstellen im nicht- bzw. geringqualifizierten Bereich kompensiert hätte werden können.

 

Normenkette

BGB § 1610 Abs. 1, § 1615l

 

Verfahrensgang

AG Andernach (Aktenzeichen 72 F 331/19)

 

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Andernach vom 14.07.2020, Aktenzeichen 72 F 331/19, wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner.

Der Verfahrenswert wird auf 5.464,57 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Antragstellerin zu 1) hat mit dem Antragsgegner ein am ... 10.2018 geborenes gemeinsames Kind, die Antragstellerin zu 2), und nimmt den Antragsgegner aus diesem Grund auf Zahlung von Betreuungsunterhalt nach § 1615l BGB in Anspruch.

Die Antragstellerin zu 1) und der Antragsgegner, die nicht miteinander verheiratet waren, haben sich 2016 während eines mehrwöchigen Aufenthaltes in einer Fachklinik kennengelernt und sind Anfang 2017 zusammengezogen. Sie haben sich bereits im August 2018, noch vor der Geburt der Antragstellerin zu 2, getrennt.

Mit Schreiben vom 19.11.2018 wurde der Antragsgegner zu Unterhaltszahlungen aufgefordert. Da er die Vaterschaft bestritt, wurde unter dem Aktenzeichen 208 F 164/18 vor dem Amtsgericht - Familiengericht - Koblenz ein Vaterschaftsfeststellungsverfahren durchgeführt, in dem durch Beschluss vom 18.06.2019 der Antragsgegner als Vater der Antragstellerin zu 2) festgestellt wurde.

Die Antragstellerin zu 1) hat bisher keine abgeschlossene Berufsausbildung. Nach ihrem Abitur studierte sie zunächst von 1994 bis 1997 Altphilologie und seit 1997 Erziehungswissenschaften an der Uni K. Daneben hat sie - in nicht näher beschriebenen Zeiträumen - unter anderem als Fitnesstrainerin bei der F. GmbH in K. bzw. M. und als Spielhallenaufsicht bei V. gearbeitet. Ihre letzte Tätigkeit, bei der sie 1.600,00 EUR brutto verdiente, hat die Antragstellerin zu 1) im April 2017 im zeitlichen Zusammenhang mit dem Zusammenzug mit dem Antragsgegner aufgegeben.

Der Antragsgegner erzielt ein (unstreitiges) bereinigtes Nettoeinkommen in Höhe von 5.604,78 EUR monatlich. Er ist seit 1992 verheiratet und hat aus dieser Ehe einen volljährigen Sohn, der studiert. Diesem und seiner getrenntlebenden Ehefrau gegenüber ist er gleichfalls unterhaltspflichtig.

Das Familiengericht hat in dem nur zum Betreuungsunterhalt vom Antragsgegner teilweise angefochtenen Beschluss vom 03.08.2020 den Antragsgegner verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) für den Zeitraum November 2018 bis Juli 2019 einen Unterhaltsrückstand in Höhe von 4.658,26 EUR, für den Zeitraum August bis Dezember 2019 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.155,11 EUR sowie ab Januar 2020 einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 1.136,15 EUR zu zahlen. Der Kindesunterhalt für die Antragstellerin zu 2) wurde in diesem Beschluss mit 144 % des jeweiligen Mindestunterhaltes festgelegt, was mit der Beschwerde nicht angegriffen wird.

Die Beteiligten streiten im Rahmen des Beschwerdeverfahrens im Wesentlichen noch darüber, von welchem Unterhaltsbedarf der Antragstellerin auszugehen ist.

Das Familiengericht hat in der angefochtenen Entscheidung auf ein hypothetisch mögliches Einkommen der Antragstellerin zu 1) aus einer fiktiven vollschichti...

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