Leitsatz (amtlich)
1. Fehlt es dem Sorgerechtsinhaber an grundlegenden Erziehungs- und Förderungskompetenzen, stellt die Erteilung von auf den Erwerb dieser abzielender Auflagen nach § 1666 Abs. 3 BGB keine gegenüber dem Entzug der elterlichen Sorge vorrangige geeignete mildere Maßnahme dar. Denn selbst falls sich der Sorgerechtsinhaber danach um den Erwerb grundlegender Erziehungs- und Förderungskompetenzen bemüht, kann die Beseitigung der Kindeswohlgefahr erst nach einem erfolgreichen tatsächlichen Erwerb eines Mindestmaßes an Erziehungs- und Förderungskompetenzen eintreten.
In solch einem Fall ist es auch nicht zu beanstanden, dass das Familiengericht den Sorgerechtsentzug nicht zeitlich befristet hat. Denn es liegt nicht nur ein vorübergehendes Versagen des Sorgerechtsinhabers vor. Sollte der Sorgerechtsinhaber in Zukunft hinreichende Erziehungs- und Förderungskompetenzen erwerben, ist dem durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 GG gewährleisteten Elternrecht mit der Abänderungsmöglichkeit nach § 1696 BGB ausreichend Genüge getan.
2. Die in §§ 1666, 1666a BGB niedergelegten Grundsätze sind auch auf sich in Deutschland aufhaltende Kinder von Migranten ohne Einschränkungen anzuwenden. Dabei ist unerheblich, ob dem Sorgerechtsinhaber in der Vergangenheit notwendige Jugendhilfemaßnahmen oder andere Hilfen (z.B. Sprachkurse) angesichts seines Migrantenstatus oder mangels Asylrechts zu Recht oder zu Unrecht versagt worden sind. Denn das betroffene Kind bleibt dennoch schutzbedürftig, so dass ein Einschreiten der Familiengerichte gemäß §§ 1666, 1666a BGB gerechtfertigt ist. Demgegenüber ist das Gericht in Familiensachen nicht gesetzlich befugt, das Jugendamt, einen Jugendhilfeträger, einen sonstigen Anbieter von Hilfen oder eine andere staatliche Stelle zur Erbringung von Hilfen gegenüber den Kindeseltern anzuweisen.
Normenkette
BGB §§ 1666, 1666a
Tenor
1. Der Antrag der Kindeseltern auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ihre beabsichtigte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Koblenz vom 11.01.2019 wird zurückgewiesen.
2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Koten werden nicht erstattet.
Gründe
Die beabsichtigte Beschwerde der Kindeseltern hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, §§ 76 Abs. 2 FamFG, 114 ZPO.
Der Beschluss des Familiengerichts, mit welchem den getrennt lebenden Eltern die elterliche Sorge für deren siebenjähriges Kind N. gemäß § 1666 BGB i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Buchst. b), Abs. 2 Buchst. a), Art. 8 Abs. 1 EuEheVO vollständig entzogen wurde, wird aller Voraussicht nach nicht zu beanstanden sein und auch den Angriffen der beabsichtigten Beschwerde standhalten.
1. Das Kindeswohl ist im Sinne von § 1666 Abs. 1 BGB gefährdet, wenn eine gegenwärtige oder zumindest nahe bevorstehende Gefahr für die Entwicklung des Kindes vorliegt, die so ernst zu nehmen ist, dass sich eine erhebliche Schädigung seines körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. hierzu BGH FamRZ 2012, 99 und BGH FamRZ 2010, 720).
Bei der Auslegung des Begriffs des Kindeswohls kann nicht unbeachtet bleiben, dass sich aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ein Vorrang des Erziehungsrechts der Eltern ergibt, in welches der Staat nur im Rahmen seines Wächteramtes (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG) und nur bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingreifen darf. Dabei gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt, für eine den Fähigkeiten des Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren sozioökonomische Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko eines Kindes. Soweit es um die Trennung des Kindes von seinen Eltern als dem stärksten Eingriff in das Elternrecht geht, ist dieser allein unter den Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG zulässig. Erforderlich ist, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie bzw. bei einem Elternteil in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist. Es muss eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten sein (vgl. BVerfG FamRZ 2014, 1266 m.w.Nw. und FamRZ 2012, 1127).
Diesen Maßstäben wird die Entscheidung des Familiengerichts gerecht. Insbesondere andere, weniger einschneidende Maßnahmen als der Entzug der gesamten elterlichen Sorge und die (weitere) Trennung des Kindes von seinen Eltern kommen momentan nicht in Betracht.
2. Vorliegend sind die Kindeseltern momentan nicht in der Lage sind, das Kind angemessen zu versorgen, zu erziehen und ihm Unterstützung für seine seelische, geistige und körperliche Entwicklung zu geben. Ein schuldhaftes Versagen ist dabei nicht erforderlich.
Die kindeswohlgefährdenden Defizite der Kindeseltern lassen sich durch solche staatliche Hilfen, zu deren Inanspruchnahme die Eltern ggfls. bereit sind, gegenwärtig nicht ausreichend kompensieren. Für die derzeit einzig ausreichenden und folglich erforderlichen Schutzmaßnahmen fehlt es den Kindeseltern an der Mitwirkungsbereitschaft und der Ei...