Entscheidungsstichwort (Thema)

Festsetzung der Verfahrensgebühr bei vorherigem Anfallen einer Geschäftsgebühr

 

Leitsatz (amtlich)

›Ist bei der im Rechtsstreit obsiegenden Partei zuvor bereits eine Geschäftsgebühr angefallen, hindert das die Festsetzung der 1,3-fachen Verfahrensgebühr nach §§ 103, 104 ZPO nicht, wenn die Geschäftsgebühr weder tituliert noch ausgeglichen ist.‹

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 14.08.2007; Aktenzeichen 5 O 364/05)

 

Gründe

Die nach § 11 Abs. 1 RpflG, §§ 104 Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Klägerin ist nicht begründet.

Der Rechtspfleger hat zu Recht entsprechend dem Kostenfestsetzungsantrag der Beklagten vom 23. Juli 2007 die volle Verfahrensgebühr festgesetzt.

1. Die Klägerin beanspruchte von der Beklagten die Zahlung restlichen Werklohns in Höhe von 117.433, 52 EUR. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, die außerordentliche Kündigung des Werkvertrages durch die Beklagte greife durch. Die Kosten des Rechtsstreits hat das Landgericht der Klägerin auferlegt.

Der Rechtspfleger hat unter anderem eine 1,3-Verfahrensgebühr zugunsten der Beklagten festgesetzt. Die gegen die Festsetzung gerichtete sofortige Beschwerde der Klägerin rügt, die außergerichtlich auf Seiten der Beklagten angefallene Geschäftsgebühr sei teilweise auf die Verfahrensgebühr anzurechnen.

Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten sind in der Sache unstreitig "in großem Umfang" vorgerichtlich tätig gewesen.

Der Rechtspfleger hat seine Nichtabhilfenentscheidung damit begründet, eine Anrechnung könne nur dann stattfinden, wenn die anzurechnende Geschäftsgebühr bereits tituliert sei.

2. Nach Vorbemerkung 3 Abs. 4. S. 1 zu Nr. 3.100 VV RVG ist eine in derselben Angelegenheit entstandene Geschäftsgebühr für die vorprozessuale Tätigkeit auf eine anschließend entstandene Verfahrensgebühr zur Hälfte, jedoch höchstens mit einem Gebührensatz von 0,75 anzurechnen.

Nach altem Recht, nämlich nach § 118 Abs. 2 BRAGO, war die in § 118 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO bestimmte Geschäftsgebühr für eine Tätigkeit außerhalb eines gerichtlichen oder behördlichen Verfahrens auf die entsprechenden Gebühren für ein anschließendes gerichtliches oder behördliches Verfahren anzurechnen (vgl. im einzelnen Gebauer/Schneider/Hembach, BRAGO, 2002, Rn. 61 ff.).

Nach dem Gesetzeswortlaut neuen Rechts ist die gerichtliche Verfahrensgebühr zu mindern, nicht die vorgerichtliche Geschäftsgebühr (vgl. Nachweise bei Bischof, JurBüro 2007, 341/344 unter 4.1).

Vertreten wird demgegenüber, dass eine hälftige Anrechnung der Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr zu erfolgen habe (KG JurBüro 2006, 202; OVG NRW, NJW 2006, 1991; unklar BGH MDR 2007, 919 und dazu Streppel, MDR 2007, 929 Fn. 2).

In den Entscheidungen des Bundesgerichtshofs vom 7. und 14. März 2007 (VIII ZR 86/06 = NJW 2007, 2049; VIII ZR 184/06 = NJW 2007, 2050) ging es darum, dass die Geschäftsgebühr zusammen mit der Hauptsache eingeklagt war und die Vorinstanz die Geltendmachung des materiellen Anspruchs (§§ 280, 286 BGB) an der Anrechnungsvorschrift hat scheitern lassen.

Der BGH ist von dem Grundsatz ausgegangen, dass die Geschäftsgebühr nicht zu den Kosten des Rechtsstreits nach §§ 91 ff. ZPO gehört und nicht vom prozessualen Kostenerstattungsanspruch erfasst ist (BGH NJW 2006, 2650; BGH MDR 2006, 776; Senat JurBüro 2007, 433 und MDR 2005, 838).

Die bereits entstandene Geschäftsgebühr bleibe unangetastet, so der BGH; durch die Anrechnung verringere sich die später angefallene Verfahrensgebühr.

Aus den Entscheidungen kann nicht gefolgert werden, nun müsse die Geschäftsgebühr im Rechtsstreit - sofern sie den auf Seiten der jeweiligen Partei angefallen sei - immer angerechnet werden (vgl. zutreffend N. Schneider, AGS 2007, 441).

Wie von Enders und Hansens deutlich hervorgehoben JurBüro 2007, 449, 450 ff.; RVGreport 2007, 241, 248 f.), ist von dem Abrechnungsverhältnis Mandant/Rechtsanwalt das Kostenerstattungsverhältnis zu unterscheiden.

Wird die Geschäftsgebühr nicht mit eingeklagt, so ist zwar die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr bei dem Abrechnungsverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant zu berücksichtigen, nicht aber bei dem Kostenerstattungsanspruch des Mandanten gegenüber dem erstattungspflichtigen Gegner wegen der im gerichtlichen Verfahren entstandenen Kosten.

Es erübrigt sich dann die Anfrage des Rechtspflegers, ob denn der obsiegenden Partei durch vorprozessuale Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten eine Geschäftsgebühr der Nr. 2.300 VV RVG entstanden sei (Enders aaO. 451).

Für den obsiegenden Kläger hat die Titulierung der Geschäftsgebühr den Vorteil, dass die Vollstreckung bereits zu einem früheren Zeitpunkt möglich ist, als bei einer Titulierung im Kostenfestsetzungsverfahren.

Steht dem obsiegenden Kläger, wie in der Regel, ein Anspruchsgrund zur Seite, der den Gebührenanspruch materiell-rechtlich gegenüber dem Beklagten rechtfertigt, ist das auf der Passivseite anders, denn für diese dürfte ein solcher nur in Ausnahmefä...

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