Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    § 305 S. 1 StPO greift nicht ein, wenn dem Angeklagten ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht zusteht; dies gilt auch dann, wenn dem Angekklagten zwar ein Rechtsmittel gegen das Urteil zusteht, die betroffene Entscheidung aber, wie im Fall der Ablehnung einer Verteidigerbestellung nach Erlass eines Verwerfungsurteils gem. § 329 StPO, im Rahmen dieses Rechtsmittels nicht überprüft werden kann.

  • 2.

    Ein seelisches Gebrechen führt nicht ohne weiteres zu einer Unfähigkeit zur Selbstverteidigung; es kommt vielmehr auf Art und Grad der jeweiligen Einschränkung an.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Entscheidung vom 14.04.2005; Aktenzeichen 2010 Js 58.376/03. 7 Ns)

 

Tenor

Die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden der 7. kleinen Strafkammer des Landgerichts Koblenz vom 14. April 2005 wird auf seine Kosten (§ 473 StPO) als unbegründet verworfen.

 

Gründe

I.

Am 5. August 2004 erließ das Amtsgericht Koblenz gegen den Angeklagten Strafbefehl wegen gemeinschaftlichen Betrugs. Auf den hiergegen eingelegten Einspruch des Angeklagten wurde Termin zur Hauptverhandlung auf den 6. Januar 2005 bestimmt. Zu diesem Termin erschien der Angeklagte nicht. Das Amtsgericht sah den Angeklagten als nicht ausreichend entschuldigt an und verwarf den Einspruch gemäß § 412 StPO.

Hiergegen legte der Angeklagte Berufung ein. Rechtsanwalt H..... bestellte sich schriftsätzlich zu seinem Verteidiger und beantragte als Pflichtverteidiger beigeordnet zu werden. Zu der daraufhin bestimmten Berufungshauptverhandlung am 14. April 2005 erschien der Angeklagte wiederum nicht. Der anwesende Rechtsanwalt H..... wiederholte seinen bereits schriftlich gestellten Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung. Der Antrag wurde von der Strafkammervorsitzenden abgelehnt. Die Kammer verwarf daraufhin die Berufung gemäß § 329 Abs. 1 StPO, weil der ordnungsgemäß geladene Angeklagte ohne genügende Entschuldigung ausgeblieben sei.

Der Angeklagte hat gegen das Berufungsurteil Revision und gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt H..... Beschwerde eingelegt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat durch Beschluss vom das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

II.

1.

Die Beschwerde des Angeklagten gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung ist im vorliegenden Fall ausnahmsweise zulässig. Der Zulässigkeit des Rechtsmittels steht § 305 Satz 1 StPO nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift unterliegen Entscheidungen der erkennenden Gerichte, die der Urteilsfällung vorausgehen, allerdings nicht der Beschwerde.

Ob die in der Hauptverhandlung getroffene Entscheidung des Vorsitzenden, durch die der Antrag auf Pflichtverteidigerbestellung abgelehnt wird, mit der Beschwerde anfechtbar ist oder die Anfechtbarkeit nach § 305 S. 1 StPO ausgeschlossen ist, weil sie in einem inneren Zusammenhang mit der Endentscheidung steht und dieser notwendig vorausgeht, ist umstritten (vgl. zum Streitstand: Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. § 140 Rdnr.10 m. w. N.). Der Senat hat bisher die Auffassung vertreten, dass die Entscheidung des Vorsitzenden nur zusammen mit der Sachentscheidung angefochten werden kann und § 305 S. 1 StPO der Zulässigkeit der Beschwerde entgegen steht (vgl. Senat, 1 W 356/01 vom 8. Januar 2001 -; ebenso OLG Koblenz, 2. Strafsenat NStZ-RR 1996, 206). Ob hieran festzuhalten ist, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Die Ausnahmevorschrift des § 305 StPO ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht anwendbar.

Zweck des § 305 S. 1 StPO ist es, Verfahrensverzögerungen zu verhindern, die eintreten würden, wenn Entscheidungen der erkennenden Gerichte sowohl auf eine Beschwerde als auch auf das Rechtsmittel gegen das Urteil überprüft werden müssten (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl. § 305 Rdnr.1). Diesem Zweck entsprechend greift § 305 S. 1 StPO deshalb dann nicht ein, wenn dem Angeklagten ein Rechtsmittel gegen das Urteil nicht zusteht (vgl. OLG Hamm NStZ 1986, 328, 329; Meyer-Goßner a. a. O.). Dies muss aber auch dann gelten, wenn dem Angeklagten zwar ein Rechtsmittel gegen das Urteil zusteht, die betroffene Entscheidung aber im Rahmen dieses Rechtsmittels nicht überprüft werden kann. In einem derartigen Fall besteht keine "Konkurrenzsituation" zwischen dem Rechtsmittel in der Hauptsache und der Beschwerde, die deren Ausschluss rechtfertigen könnte. Vielmehr ist nur durch die Zulassung der Beschwerde ein hinreichender und effektiver Rechtsschutz gewährleistet.

Gegen das hier vorliegende Verwerfungsurteil nach § 329 StPO kann der Angeklagte zwar Revision einlegen. Grundsätzlich unterliegen nach § 336 S. 2 StPO auch Entscheidungen über die Pflichtverteidigerbestellung der Prüfung des Revisionsgerichts (BGHSt 39, 310, 313; BGH NStZ 1992, 292). Dies gilt aber nicht für die Revision gegen ein Urteil nach § 329 StPO. Insoweit kann lediglich die Verletzung des § 329 StPO gerügt werden. Im Übrigen kann das Urteil auf die Revision nur darauf überprüft werden...

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