Verfahrensgang
AG Wittlich (Entscheidung vom 22.04.2020) |
Tenor
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittlich vom 22. April 2020 wird zugelassen.
- Die Sache wird auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
- Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das vorbezeichnete Urteil des Amtsgerichts Wittlich wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Wittlich hat den Betroffenen mit Urteil vom 22. April 2020 wegen einer am 28. Juni 2019 begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 32 km/h (bei einer Geschwindigkeitsbegrenzung auf 100 km/h) zu einer Geldbuße von 120,- EUR verurteilt.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seinem Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde vom 24. April 2020, den er mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 27. Juli 2020 begründet hat. Er rügt in formeller Hinsicht die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sowie auf ein faires Verfahren bzw. eine effektive Verteidigung wegen der Verwertung des Messergebnisses trotz seines Widerspruchs (weil das verwendete Messgerät nicht sämtliche Rohmessdaten speichere), der unterlassenen Beiziehung von weiteren Daten und Unterlagen (gesamte Messreihe nebst Rohmessdaten, Statistikdatei mit Case-Lists, Instandsetzungs-, Wartungs- und Eichunterlagen sowie Beschilderungsplan und verkehrsrechtliche Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung) sowie der fehlerhaften Ablehnung seines Beweisantrages und einen Verstoß gegen den gesetzlichen Richter, weil sein Antrag nach § 62 OWiG vom örtlich zuständigen Gericht beschieden worden sei. Zudem macht er ein Verfahrenshindernis geltend, weil die Bußgeldbehörde ohne Rechtsgrundlage die Bußgeldakte elektronisch führe. Weiterhin wird die - nicht näher begründete - allgemeine Sachrüge erhoben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 19. August 2020 beantragt, den Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Der Betroffene hat hierzu mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 31. August 2020 Stellung genommen.
II.
A. Entscheidung des Einzelrichters
1. Die Rechtsbeschwerde wird gem. § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen, weil zu prüfen ist, ob der Fall Anlass gibt, im Lichte der Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes des Saarlandes vom 5. Juli 2019 (Lv 7/17 -, juris) und des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz vom 15. Januar 2020 (VGH B 19/19 -, juris) von der bisherigen Rechtsprechung des OLG Koblenz (z.B. Senatsbeschluss vom 31. Mai 2019 - 1 OWi 6 SsRs 121/19; OLG Koblenz, Beschluss vom 5. Juni 2019 - 2 OWi 6 SsBs 58/19 jeweils m.w.N.) abzurücken, wonach die unterbliebene Überlassung von sämtlichen Rohmessdaten weder eine Verletzung des rechtlichen Gehörs noch einen Verstoß gegen das faire Verfahren bzw. eine effektive Verteidigung darstellt.
2. Die Sache war gem. § 80a Abs. 3 OWiG zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung auch auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen.
B. Entscheidung des gesamten Senats
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 79 Abs. 1 Satz 2, 80 Abs. 1 OWiG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt jedoch zu keinem Erfolg in der Sache.
1. Kein Verfahrenshindernis
Soweit der Betroffene geltend macht, dass der Bußgeldbescheid unwirksam sei, weil die Bußgeldbehörde die Akte ohne Rechtsgrundlage digital führe, dringt er damit nicht durch. Ein Verfahrenshindernis liegt insoweit nicht vor. Die Wirksamkeit des Bußgeldbescheides wird nach der Rechtsprechung sämtlicher Bußgeldsenate des OLG Koblenz nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Land Rheinland-Pfalz bislang keine Rechtsverordnung zu § 110a OWiG erlassen hat und die Verwaltungsakte im anfänglichen Verfahrensstadium ausschließlich digital geführt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 6. September 2016 - 1 OWi 3 SsRs 93/16, vom 17. Juli 2018 - 1 OWi 6 SsBs 19/18 -, juris und vom 23. September 2020 - 1 OWi 6 SsRs 231/20; OLG Koblenz, Beschluss vom 12. Dezember 2017 - 2 OWi 4 SsRs 122/17 -, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 9. April 2020 - 3 OWi 6 SsBs 97/20; OLG Koblenz, Beschluss vom 18. Dezember 2020 - 3 OWi 6 SsBs 268/19). Entgegen der Auffassung des Betroffenen ergibt sich aus dem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes Rheinland-Pfalz vom 19. November 2019 (VGH B 24/19 -, juris), mit dem eine Verfassungsbeschwerde als unzulässig verworfen wurde, nichts Anderes (vgl. Senatsbeschluss vom 23. September 2020 - 1 OWi 6 SsRs 231/20 m.w.N.).
2. Verfahrensrügen
Es kann dahingestellt bleiben, ob die erhobenen Verfahrensrügen überhaupt im Hinblick auf die 66 Seiten umfassende Antragsschrift, in der der Erörterung der einzelnen Rügen eine umfangreiche Mitteilung von Verfahrenstatsachen vorangeht, bei der diverse Aktenbestandteile wie u.a. das gesamte Sitzungsprotokoll und ein Privatgutac...