Leitsatz (amtlich)

1. Erhält ein Ehegatte eine Erwerbsminderungsrente, so indiziert dieser Umstand seine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit im unterhaltsrechtlichen Sinn.

2. Ein Unterhaltsanspruch wegen Krankheit oder Gebrechen setzt gerade nicht voraus, dass die Krankheit, das Gebrechen oder die Schwäche der körperlichen und/oder geistigen Kräfte ehebedingt ist.

3. Allein die Rücknahme eines Unterhaltsantrags deutet nicht eindeutig und zweifelsfrei auf einen Verzichtswillen des Unterhaltsgläubigers hin. Dies gilt erst recht dann, wenn das Familiengericht zuvor darauf hingewiesen hat, dass nach vorläufiger Würdigung die Leistungsfähigkeit auch nur eines Ehegatten nicht zu erwarten stehe.

 

Normenkette

BGB § 1572

 

Verfahrensgang

AG Prüm (Beschluss vom 24.07.2019; Aktenzeichen 2b F 36/19)

 

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Prüm vom 24. Juli 2019 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung über den auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe gerichteten Antrag der Antragstellerin vom 8. Februar 2019 an das vorbezeichnete Amtsgericht - Familiengericht - zurückverwiesen.

 

Gründe

Die nach §§ 113 Abs. 1, 112 Nr. 1, 231 Abs. 1 Nr. 2 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde, mit welcher sich die Antragstellerin gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe für das in erster Instanz anhängige Stufenverfahren wendet, hat einen vorläufigen Erfolg.

Das Familiengericht hat die beantragte Verfahrenskostenhilfe ausschließlich wegen fehlender Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung abgelehnt. Es hat - sinngemäß - ausgeführt, die Beteiligten hätten nachehelichen Unterhalt schon in dem vor dem Amtsgericht - Familiengericht - [...] geführten Scheidungsverbundverfahren geltend gemacht und dann im dortigen Termin vom 13. September 2016 - nach richterlichem Hinweis - jeweils den entsprechenden Antrag zurückgenommen. Hierdurch sei die "Unterhaltskette" in einer den verfahrensgegenständlichen Anspruch ausschließenden Weise unterbrochen worden. Die wechselseitige Rücknahme der jeweiligen Unterhaltsbegehren in der damaligen Situation könne nur als übereinstimmende Erklärung der Ehegatten dahingehend verstanden werden, in Kenntnis der jeweiligen Lebenssituation des Anderen künftig nicht mehr auf die Nachwirkungen der ehelichen Solidargemeinschaft bauen zu wollen. Dem darin zum Ausdruck gebrachten Willen zu wirtschaftlicher Eigenständigkeit komme insoweit die gleiche Bedeutung zu wie einer vorübergehenden Unterbrechung der Unterhaltskette, aus der heraus die erneute Geltendmachung nachehelichen Unterhalts nach dem Willen des Gesetzgebers ausgeschlossen sei.

Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Nach dem hier maßgeblichen Sach- und Streitstand ist weder die erforderliche "Unterhaltskette" unterbrochen noch hat die Antragstellerin wirksam auf einen etwaigen (nachehelichen) Unterhaltsanspruch verzichtet.

Das Erfordernis der lückenlosen "Unterhaltskette" gebietet, dass die tatbestandsspezifischen Voraussetzungen der jeweiligen Unterhaltsnorm ohne Unterbrechung vorgelegen haben müssen (vgl. BGH, FamRZ 2016, 203, 204, Rdnr. 17). Ist dies der Fall und wird Unterhalt vorübergehend nur deshalb nicht geschuldet, weil der Unterhaltsberechtigte nicht bedürftig oder der Unterhaltspflichtige nicht leistungsfähig war, steht dies Unterhaltsansprüchen in der Zeit nach der Wiederherstellung von Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit nicht zwingend entgegen (vgl. BGH, a.a.O., m.w.N.; OLG Koblenz, FamRZ 2016, 1460, 1460).

Hier haben die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Unterhalt wegen Krankheit (§ 1572 BGB) bereits im Zeitpunkt der Scheidung sowie auch in der Folgezeit ohne zeitliche Lücke vorgelegen. Insoweit ist im vorliegenden Verfahrenskostenhilfeverfahren davon auszugehen, dass die Antragstellerin bereits zum Zeitpunkt der Scheidung krankheitsbedingt erwerbsunfähig war. Denn unstreitig erhielt die Antragstellerin bereits zu diesem Zeitpunkt eine Erwerbsminderungsrente. Dieser Umstand indiziert die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit der Antragstellerin im unterhaltsrechtlichen Sinn (vgl. Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/ Würdinger-Hollinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl. 2020, § 1572, Rdnr. 57, m.w.N.; MünchKomm-Maurer, BGB, 8. Aufl. 2019, § 1572, Rdnr. 62, m.w.N.; Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann-Lettmaier, beck-online. GROSSKOMMENTAR, Stand: 15. September 2019, § 1572, Rdnr. 101, m.w.N.; Wendl/Dose-Bömelburg, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10. Aufl. 2019, § 4, Rdnr. 264, m.w.N.; Schulz/Hauß-Streicher, Familienrecht, 3. Aufl. 2018, § 1572, Rdnr. 19). Die entsprechende tatsächliche Vermutung ist jedenfalls bislang nicht widerlegt. Auch ist weder dargetan noch sonst irgendwie ersichtlich, dass der Bezug von Erwerbsminderungsrente zwischenzeitlich unterbrochen oder gar ganz eingestellt worden wäre.

Im Übrigen erfordert § 1572 BGB gerade nicht, dass die Krankheit, das Gebrechen oder d...

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