Entscheidungsstichwort (Thema)
Beteiligung des Strafgefangenen an den Kosten ambulanter ärztlicher Behandlung
Leitsatz (amtlich)
›Für eine Beteiligung des Strafgefangenen an den Kosten ambulanter ärztlicher Betreuung ("Praxisgebühr") gibt es derzeit keine Rechtsgrundlage.‹
Verfahrensgang
LG Trier (Entscheidung vom 19.10.2005; Aktenzeichen 10 StVK 542/05 (Vollz)) |
Gründe
I. Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem 4. März 2004 verschiedene Freiheitsstrafen im geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Wittlich.
Der Anstaltsleiter ordnete mit Hausverfügung vom 16. Februar 2005 nach Maßgabe des Schreibens des Ministeriums der Justiz vom 10. Februar 2005 (4550 E 03-5-34) an, dass ab dem 1. April 2005 die Strafgefangenen/Sicherungsverwahrten in Angleichung an die Bestimmungen des Sozialgesetzbuches an den Kosten der Gesundheitsfürsorge zu beteiligen sind. Für die erste Inanspruchnahme des Anstaltsarztes oder Anstaltszahnarztes ist je Kalendervierteljahr eine Zuzahlung von 9,00 EUR bzw. 4,50 EUR für schwerwiegend chronisch Kranke zu leisten. Die Abbuchung der Zuzahlung soll von den bei der Anstaltszahlstelle geführten Konten der Gefangenen jeweils in dem Monat, der auf die erste Inanspruchnahme des Anstaltsarztes oder des Anstaltsarztes folgt, veranlasst werden. Dabei kann auch das Überbrückungsgeld unter den Voraussetzungen des § 51 Abs. 3 StVollzG in Anspruch genommen werden.
Für einen Arztbesuch im II. Quartal des Jahres 2005 wurden dem Verurteilten 6,54 EUR vom Eigengeld- und 2,46 EUR vom Überbrückungsgeldkonto abgebucht. Auf seinen Widerspruch erfolgte die Rückbuchung auf die entsprechenden Konten. Nachdem die Justizvollzugsanstalt durch Schreiben des Ministeriums der Justiz vom 22. Juli 2005 (4450 E 03-5-34) angewiesen worden war, die Zuzahlungen auch ohne Einverständnis der Gefangenen einzuziehen, erfolgte erneut eine Belastung der Konten des Antragstellers. Es wurden 6,87 EUR vom Eigengeld- und 2,13 EUR vom Überbrückungsgeld abgebucht. Es erfolgte eine Rückbuchung der 2,13 EUR, da nach Auffassung der Justizvollzugsanstalt die Inanspruchnahme des Überbrückungsgeld rechtswidrig gewesen war. Für einen weiteren Arztbesuch im III. Quartal erfolgte eine weitere Belastung des Eigengeldkontos.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat sich der Verurteilte gegen die Erhebung der Praxisgebühr gewandt. Die Strafvollstreckungskammer hat die Antragsgegnerin angewiesen, dem Eigengeldkonto 6,87 EUR für das II. und 9 EUR für das III. Quartal gutzuschreiben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es fehle an einer Rechtsgrundlage für eine Kostenbeteiligung in der Form der Praxisgebühr. § 61 StVollzG i.V.m. § 28 Abs. 4 Satz 1 SGB scheide insoweit aus. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt, mit der er die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückweisung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung beantragt. Zur Begründung führt er aus, das StVollzG begründe nur einen Anspruch des Gefangenen auf Krankenhausbehandlung in dem Umfang, wie ihn § 28 SGB V dem versicherten Arbeitnehmer einräume. Die durch das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehene Kostenbeteiligung sei über § 61 StVollzG, der auf die Vorschriften des SGB V verweise, auch auf Gefangene anwendbar.
II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt worden und ihre Zulassung ist zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG).
2. In der Sache hat sie keinen Erfolg. Die Strafvollstreckungskammer hat zu Recht eine Verpflichtung des Verurteilten zur Beteiligung an den Kosten des Arztbesuches (im folgenden: "Praxisgebühr") verneint.
a) Das Strafvollzugsgesetz enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage zur Erhebung einer Praxisgebühr. Kostenbeteiligungen des Gefangenen sind lediglich in § 62 StVollzG für Zahnersatz und Zahnkronen und bei der ärztlichen Behandlung zur sozialen Eingliederung (§ 63 S. 2 StVollzG) vorgesehen.
b) Eine Verpflichtung des Gefangenen zur Zahlung der in § 28 Abs. 4 SGB geregelten Praxisgebühr ergibt sich auch nicht aus § 61 StVollzG. Diese Vorschrift verweist, wie schon aus der Überschrift ersichtlich ist, nur hinsichtlich Art und Umfang medizinischer Leistungen einschließlich der Versorgung mit Hilfsmitteln auf die entsprechenden Vorschriften des SGB und die aufgrund dieser Vorschriften ergangenen Regelungen. Sie gestaltet also lediglich den staatlich gewährten Anspruch des Gefangenen auf Gesundheitsfürsorge (§ 58 StVollzG) näher aus, begründet aber keine Verpflichtung des Gefangenen, sich in irgendeiner Weise an den Kosten zu beteiligen.
aa) Diese am Wortlaut orientierte Auslegung wird bestätigt durch die Stellung des § 61 StVollzG in der gesetzlichen Regelung der Gesundheitsfürsorge im Strafvollzug. Der Strafgefangene ist grundsätzlich nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert (§ 16 Abs. 1 Nr. 4 SGB V), da ein besonderes Bundesgesetz nach § 198 Abs. 3 StVollz...